Im Lärm der Stadt

Man sei sich nicht im klaren, so stand's geschrieben in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, ob die Ausstellung Im Lärm der Stadt einen Trend dokumentiere oder ihn erst schaffen wolle. Und Beatrix Nobis verstieg sich in der Süddeutschen Zeitung in die — wohl ironisch gemeinte — Behauptung von «einer geradezu beängstigenden Bescheidenheit der künstlerischen Mittel». — Die Unsicherheit ist symptomatisch für die Zeit der aufgeregten Suche nach dem Immer-Neuen.

Tatsächlich zeigt die Stiftung Niedersachsen in Zusammenarbeit mit dem Sprengel Museum Hannover (künstlerische Leitung: Lothar Romain), wie im vergangenen Jahr mit Bis jetzt. Plastik im Außenraum der Bundesrepublik, auf: nun die Dokumentation dessen, was sich als Ablösung der raumgreifenden, platzbeherrschenden Skulptur oder Plastik im Außenraum begreift.

Im Lärm der Stadt formuliert einen Umkehrschluß: Innerhalb der geräuschvollen großstädtischen Hektik macht sich eine stille, Nachdenklichkeit artikulierende Kunst (alles andere als) bemerkbar; diese «10 Installationen in Hannovers Innenstadt» wollen er-sehen, wollen gesucht und gefunden werden. Sie stellen, analog zum gesellschaftlichen Umdenken, eine neue Be-Sinnlichkeit dar, interpretieren den Begriff Denkmal neu: Denk-Mal.

Einer der Vorreiter dieser im öffentlichen Raum versteckten Kunst ist Norbert Radermacher (er ist der einzige der zehn ausstellenden Künstler, der 1990 in Hannovers Georgengarten mit dabei war). Offensichtlich hat ihn seine Erfahrung im Finden nicht (kunst-)alltäglicher Orte so treffsicher gemacht. Denn einmal mehr lenkt er den Blick des Betrachters um: in Hannovers Innenstadt läßt er den Betrachter im besten Wortsinn sich selbst reflektieren. Aus einem 288 mal 511 Zentimeter großen, ansonsten verschiedenen Institutionen vorbehaltenen Schau-Fenster hat er eine Reflexionsscheibe gemacht, in der sich die aus Richtung Rathaus kommenden Passanten spiegeln. Ihren Tribut fordert die Diskussion um das Auto in den Innenstädten im offensichtlich ironischen Kommentar von Monika Brandmeier: Sie schuf einem Parkplatz ein Denkmal, indem sie ihm eine Art Grabplatte auflegte und diese mit zwei zweifelsfrei zweideutig roten Lichtern (Grableuchten fürs Auto und das nahe gelegene «Rotlichtviertel»?) krönte. Das Thema Auto beschäftigt auch Andreas von Weizsäcker, indem er drei «mumifizierte» Autos aus Papiermasse unter eine «Fly over» aus Beton hängt, wobei er seinen Witz mit einem Wortspiel komplettiert: Aus Hannover wurde «Hangover» — diesen Begriff verwendet der US-Amerikaner, wenn er mehrere über den Durst getrunken hat. Verwirrung stiften Maik und Dirk Löbbert mit ihrem «Integrationsobjekt Kanalstraße». Sie konterkarieren kaum merklich die untere Betonverkleidung eines Kaufhausgebäudes durch das optische «Herausnehmen» eines Teilstückes und das Verlagern der Fließenstruktur aus der Horizontalen in die Vertikale. Ein wenig zu sehr in Richtung Sinn-Stiftung zielt die Arbeit von Thomas Rudolph. Seine überzogen demonstrativ neben einen Brunnen gestellte Abdeckung wirkt platt-idealisierend; die beabsichtigte Einbeziehung des gesamten Platzes ist nur schwer erkennbar. Gelungen ist dieser Aspekt wohl Wolfgang Robbe, dessen «Fußgängerzonenkapelle» den eiligen Konsumentenschritt zu stoppen vermag.

Unbeabsichtigte Mißbilligung durch Passanten dürfte Wilhelm Mundt mit seinen verformten Glascontainern erreicht haben: Fein säuberlich getrennt werfen sie in den grünen Grünglas und in den weißen Weißglas. Mit den optischen beziehungsweise akustischen Gewohnheiten beschäftigen sich in Hannover drei Künstler, wobei p.t.t. red (Stefan Micheel und HS Winkler) ihre Arbeit von Michelangelo kommentieren lassen: «die welt ist illusion — und die kunst die darstellung der illusion der welt.» Verwundert suchen die Wartenden im U-Bahnhof Marktballe den einfahrenden Zug, der jedoch lediglich akustisch einfährt. Und Michael Hofstetter simuliert zwei optische Durchbrüche in eine Wand, die in einer Unterführung die Fußgänger von den Autos trennt. Lediglich Ingrid Roschek arbeitet mit «konventionell»-musealer Plastik, stellt Althergebrachtes und Zeitgeist jedoch gleichermaßen auf den Kopf: Ihre mit dem Pathos spielenden Plastiken sind so auf Hannovers «Aegi» plaziert, daß man sie vor lauter Integration kaum mehr sieht.

Sollte es die vornehmste Aufgabe der Kunst sein, sichtbar, sehen zu machen, dann geschieht das in Hannover durchaus. Der Betrachter, hier der Be-Suchende, hat sich der Mühe des Ergehens zu unterziehen, will er zur Kunst gelangen. Dabei dürfte er die Plätze, die Stadträume so erfahren, wie er sie lange nicht (mehr) gesehen hat. Hier zeigt sich Kunst (fröhlich-)lehrreich und kommt in ihrer Zurücknahme ohne den [pathetischen] Zeigefinger des monumentalen Denkmals aus.


Weltkunst Nr. 23, 61. Jahrgang, 1. Dezember 1991, Seite 3713
 
Di, 12.01.2010 |  link | (2473) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Bildende Kunst






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