«Allegorien des menschlichen Verlangens» Michael Hofstetter In der Mitte des 18. Jahrhunderts wandelte sich ein Begriff grundlegend. Aus aisthesis wurde Ästhetik, aus der Wahrnehmung die «Lehre vom Schönen», die kritische Beurteilung nach den Kriterien der Vernunft. Der Zahn des Spezialisiertseinwollens nagte wiederum daran so lange, bis eine Begriffsruine übrig blieb, in der lediglich noch subjektive Geschmacksurteile hausen, die philosophische Aspekte ausgrenzen. Die immerwährenden Korrekturbestrebungen machten sich in letzter Zeit jedoch die Vertreter der Postmoderne dahingehend zunutze, als sie weit hinter die historische Zäsur des analogon rationis von Alexander Gottlieb Baumgarten, dem Begründer der Ästhetik als einer Disziplin der Schulphilosophie, zurückgriffen und ihre anti-ideologische Diskussionsebene, zumindest teilweise, ins Schattenreich verlagerten. Doch führt nun aisthesis wieder das Zepter. Nach Michael Hofstetter ist «der spätkapitalistischen Gesellschaft jegliches Bewußtsein heilsbringender Geschichte abhanden gekommen und jeder Entwurf einer Utopie gescheitert». Der Skeptiker Bloch wird gerade noch erörtert, Adorno, Barthes, Habermas, Horkheimer, Marx und andere werden aus dem Feld der Diskussion in das der Ironie verwiesen. Hofstetters Plattformen, von denen aus er hinter die Analogien, nicht jedoch hinter die Kausalitäten des Seins zu blicken versucht, sind die unterschiedlichsten Modifikationen zum Teil weit zurückliegender Darstellungsweisen der Kunst, wobei er alte und neue Medien und Techniken kombiniert. Nach Justin Hoffmann sind für Michael Hofstetter die Markisen von Pariser Ladengeschäften «Allegorien des menschlichen Verlangens», die er in bezug stellt zu der Tapisseriefolge Madame a la Licorne (Licorne, deutsch Einhorn, war im Mittelalter die allegorische Darstellung des Schönen Scheins) im Musee de Cluny. In dieser Arbeit mit dem Titel Faux Raisonnement Fait De bonne Foi verweist Hofstetter auf die fünf Sinne, die in den Wunsch Erfüllung münden. Indem er die Sinnbezeichnungen (waren-)ästhetisch, also ästhetizistisch zuordnet, unterstreicht er die mittlerweile obligatorische Sinnentstellung der Begriffe. Ähnlich ging er mit der Installation Spiegelung vor, wobei er hier zusätzlich den philosophischen Aspekt des Auseinanderlaufens von Wahrheit und Wirklichkeit zu demonstrieren versucht. Dabei nutzte er die U-Bahn-Galerie der Münchner Kunstakademie als Kameragehäuse, um Werbeplakate seitenverkehrt an der Rückwand zu spiegeln. Damit verweist Hofstetter zwar auf den Irrtum, doch die Confusio, um die man sich, nach Baumgarten, bemühen müsse, um die Irrtümer zu vermeiden, gerät möglicherweise in Gefahr, hinter einem enormen technischen Aufwand zu verschwinden. Als «fotografischer Dilletant» bezeichnet sich Hofstetter, der bevorzugt mit dem Medium Photographie im allgemeinen und der camera obscura im besonderen arbeitet. Letzteres nennt Justin Hoffmann in postmoderner Emphase «eine Rückführung in den Urzustand der Fotografie». Wie im Fall von Spiegelung rückte er auch bei der Arbeit Dem Anschauer einen Raum in die Startposition der Photographie. Durch eine winzige Öffnung im ansonsten abgedunkelten Fenster eines Ateliers ließ er Natur ein, die Bäume des Münchner Akademiegartens, fixierte sie auf Negativpapier, um sie dann innerhalb der camera obscura auszustellen. Drei Begriffe am Eingang des Ausstellungsraumes sollten den Rezipienten, den Betrachter irritieren, «Wille», «Strategie» und «Material» zu Aneignung, Wahrnehmung und Objektivierung führen. Roland Barthes hat das, das Fenster, die Photographie, schlichter benannt: «Grenze des Sinns». Michael Hofstetter hat in Tübingen die neuere Form des generalis studiert und sich dabei offensichtlich in den (sehr) frühen Schiller, in Schelling, in Schopenhauer, in Nietzsche vertieft. Sein Leitmotiv scheint das Schellingsche Diktum, nach dem die Kunst das einzig wahre und ewige Organum zugleich und Dokument der Philosophie sei. Dabei verschreibt er sich jedoch primär einem Konzept, das in Paul Virilios Ästhetik des Verschwindens aufgeht und das der Mystik, zumindest dem Mysteriösen, wieder einen Platz in der Sinn- und Seinsdiskussion sichern will. Katalog zur Ausstellung Im Lärm der Stadt, Hannover 1991, S. 57
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