Zitatenschatz Neue Staatsgalerie Stuttgart Den Anfang der restaurativen Architektur im heutigen Museumsbau machte Alexander von Branca mit seiner Münchner Neuen Pinakothek, einem Kunsttempel mit Burgcharakter. Ihm folgte Hans Hollein, der das Mönchengladbacher Museum Abteiberg zwar weniger pathetisch, dennoch theatralisch genug inszenierte. Und die jetzt, nach siebenjähriger Planungs- und Bauzeit, eröffnete Stuttgarter Staatsgalerie des britischen Architekten James Stirling läßt endgültig die Hoffnung dahinfahren, das rational-transparente Element könne (wieder) Einzug halten in die bundesdeutsche Museumslandschaft: Mit der Neuen Staatsgalerie wurde, wenngleich nicht ungeschickt, eine der erstaunlichsten Sammlungen moderner Kunst zelebrierend verpackt. Der erste Anblick der 90-Millionen-Mark-Immobilie löst den Gedanken an eine antike Tragikomödie aus, inszeniert von einem Dorfschullehrer, der mal was von Peter Zadek gesehen hat. Gegenüber anderen Kulturgebäuden mit Lagerhallencharakter, von diesen auf Distanz gehalten durch eine sechsspurige Hymne an den Individualverkehr, hat der an Farben und Materialien gar nicht geizige Schotte eine architektonische Skulptur in einen Hang gesetzt, in der Formensprache angesiedelt zwischen einem überdimensionalen Sarkophag und einem zum Schleppkahn mißratenen Ocean-Liner. Zusammengehalten werden die 2.000 Kubikmeter umbauten Raums aus Beton von einer vorgesetzten Fassade aus Naturstein. Die darangesetzten popfarbigen High-tech-Mätzchen haben wohl den Sinn, dieser Theaterkulisse etwas von ihrer Gewalttätigkeit zu nehmen beziehungsweise dem Besucher zu suggerieren, er begäbe sich jetzt auf einen Spielplatz. Bevor sich diese neueste bundesdeutsche Kunsthülle entgültig als Kultstätte vermittelt, verabreicht Stirling erst noch einmal eine Beruhigungspille in Form der Eingangshalle. In ihr trifft das durch die geschwungene und gerasterte Fensterfront einfallende Licht auf einen leuchtend grünen Gumminoppenboden, hier wird man gewahr, daß der mehr als wohlbeleibte Architekt auch tänzeln kann. Komplettiert wird diese Beschwingtheit durch das zunächst einzige Kunstwerk: Duane Hansons Putzfrau sitzt in der Ecke — wie übriggeblieben vom Premierereinemachen. Verziert wird dieser Vorhof zum Rückschritt noch von einem nett anzuschauenden lichtdurchwirkten Kassenrund mit einem Tresen aus Kirschholz, bervor's dann im banal grellen, historischen Skulpturenhof endgültig dunkel wird um die jahrzehntelangen Bemühungen aufklärerischer Architekten, die Museumsschwellen zu senken. Stirling hat die ‹würdevolle› Feierlichkeit am Eingang sein lassen und einfach nach innen verlegt. In diesem edlen Innenhof muß der Besucher das Gefühl bekommen, das Bedeutungsschwangere müsse ihm jeden Augenblick auf den Kopf fallen. Wer sich dann absatzknallend aus dieser Kulturopferstätte geflüchtet hat, hat die Erholung, die die oberen Galerieräume (zunächst) bieten, auch verdient. Angenehm gegliedert und gereiht präsentieren sie sich, das von oben einfallende, durch leicht milchiges Glas gefilterte Naturlicht verträgt sich gut mit der künstlichen Beleuchtung. All die Picassos, Schlemmers oder Beuys' verschaffen sich eindrucksvoll Geltung in diesen neutralen Räumen. Doch dann, es wär' so schön gewesen, geben es die innenarchitektonischen Details preis: Konsequenz, Klarheit ist des Briten Sache nicht. Was er unten beim Entrée (listig?) vermieden hat, Portalatmosphäre nämlich, wird oben, aus Holz und weiß gestrichen, an jeden Saaleingang geklebt: Herr Winckelmann und dessen Baumeister Schinkel, deren Klassizismus lassen schön grüßen. Vollends zur Bildungstümelei gerät, was wohl als Appell an das Traditionsbewußtsein gemeint ist: knapp einen Meter lange ‹Bruchstücke› ägyptischer Tempelgesimse in den Übergängen von den Wänden zu den Decken — Versatzstücke alter Baukultur aus dem Warenhaus. Überhaupt ist dieses Museum, das aktuellste Kunst beherbergt und selbst (zwanghaft) Kunstwerk sein will, ein einziger Zitatenschatz — ein Nachschlagewerk der Architekturgeschichte. Überall wird nachgeäfft, was mal Geschichte gemacht hat. Wenn das, was dieser Radikale (Eklektizist) Stirling alles unter einen Hut gebracht hat, richtungsweisend wird, wird wohl bald, auch gesellschaftspolitisch, das Mittelalter eingeläutet werden. Schweizer Radio DRS, Kulturmagazin Reflexe; Vorwärts Nr. 14, 29. März 1984, S. 26
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la chose ist das hierher umziehende Archiv von micmac. Letzte Aktualisierung: 30.10.2015, 04:39
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