Kulturbollwerk

Es war eine Schwerstgeburt, eine auf Raten sozusagen. Nach mehr als einem Jahrzehnt Planungs- und Bauzeit, nach der Eröffnung der Philharmonie, hat das Münchner Kulturzentrum Gasteig endgültig das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

Nomen est omen: Der gache Steig ist ein steil ansteigender Weg (am Ufer der Isar). Mehr als steil in die Höhe ging es auch mit dem Preis für dieses Kulturbollwerk. Einst mit 120 Millionen veranschlagt, hat die Kultur-«Reichskanzlei» jetzt tatsächlich über 370 Millionen verschlungen.

Nun ist es müßig, über den Preis für gute Architektur zu streiten. Vor allem dann, wenn sie sich als ein demokratisches Gebilde versteht, das als Bereicherung eines Stadtbildes gesehen sein will. Und noch weniger kann eine Schuldzuweisung an die Architekten (Raue, Rollenhagen, Lindernann, Grossmann) wegen der Kostenexplosion ausgesprochen werden, wenn man weiß, wie viel Neuerungen und Änderungen das Team nachträglich, während bereits gebaut wurde, zu bewerkstelligen hatte.

Nur läßt sich hier von einer Bereicherung nicht sprechen. Stellvertretend für viele schimpfte Peter M. Bode in der Münchner Abendzeitung. «Je mehr Gerüste an Münchens Umstrittensten Mammut-Bau fallen, um so deutlicher zeigt sich die Gestaltungsschwäche der Architekten, die ihrer Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen waren.»

Tatsächlich erinnert dieser «bedrückende Koloß» (Bode) eher an ein Kaufhaus mit «repräsentativem Charakter», dessen Architekten es zur Auflage gemacht wurde, es so zu planen, daß die Bevölkerung im Falle eines Fliegerangriffs darin Zuflucht finden kann. Keine noch so mutwillig mißverstandene Moderne in ihrer Klobigkeit, keine noch so von falschem Pathos triefende Postmoderne mit ihrem irrwitzigen Zuckerbäcker-Habitus vermag einern Stadtbild das anzutun, was diese Tempel-Architektur an Verunstaltung leistet. Den 445.000 Kubikmetern umbauten Raums, gefertigt aus 70.000 Kubikmetern Beton, verblendet mit eigens angefertigten, sogenannten handgeschlagenen Ziegeln (die handelsüblichen hätten es allerdings noch schlimmer gemacht), fehlen wirklich nur noch die Schießscharten ...

Dieses Kulturzentrum ist eine falsch inszenierte Operette, die dieses unsäglich verlogene «Doch wie's da drinnen aussieht, geht niemanden was an» verifiziert. Tatsächlich ist man sich im Inneren des Gebäudes nie sicher, ob man sich nun in einem Großlager für Särge, in einem Verwaltungsgebäude eines Bankriesen oder in einem Konsumtempel vom Zuschnitt Bloomingdale's befindet.

Da wäre die Eingangshalle, die vor allem zur Stadtbibtiothek führt. Sie sollte doch tatsächlich von vornherein den Charakter einer «Kathedrale» haben, wie Architekt Eike Rollenhagen verlauten ließ.

Auch was die Bibliothek betrifft, müssen die Baumeister einer Verwechslung unterlegen sein: Beabsichtigt war eine städtische und nicht etwa eine Universitätsbibliothek. In dieser Dämmerungsarchitektur herrscht jene Grabesstille, die der angehende Akademiker für seine Studien braucht (der schaut dann auch nicht mehr auf die Möblierung im Kaufhausdesign).

Im Lesesaal macht sich jene Beklemmung breit, die das Bedeutungsschwangere der Bildung aus den Kellern wilhelminisch-spießbürgerlicher Muffigkeit hervorholt. Und auch die mickrige Cafeteria im Untergeschoß ist nicht dazu angetan, Kultur-Fröhlichkeit aufkommen zu lassen.

Richtig, die Bibliothek ist in hohem Maße frequentiert. Da dürfte jedoch weniger die Architektur zur Animation beigetragen haben als vielmehr das Angebot beziehungsweise die Tatsache, daß die alte, benutzerfreundliche Bücherstube am Wiener Platz im Zuge der Fortschreibung des Projektes Gasteig eliminiert wird.

Sicher, die Idee war (und ist) gut, ist demokratisch: Hoch- und Niederkultur unter einem Dach vereinen zu wollen. Unbestritten hat das Richard-Strauß-Konservaterium neue Räume gebraucht, ging den Münchnem seit langem ein Konzertsaal von der Größe und Güte dieser Philhamonie ab. Warum sollen nicht akademische Leistungen Wand an Wand mit den Weiterbildungsangeboten einer Volkshochschule existieren?! Aber doch nicht in einer solchen Dunkelkammer von Sakralarchitektur.

Wozu, stellt sich die Frage, haben eigentlich jahrzehntelang Baumeister darüber nachgedacht, wie man den Begriff Kultur architektonisch mit Helligkeit durchfluten kann, wenn hier wieder das Anstrengungswürdige und Erhabene zelebriert wird?

Es ist ein Unding, daß die Verantwortlichen sich jetzt gegenseitig auf die Schulter klopfen mit der Begründung, das Kuturzentrum Gasteig funktioniere. Das haben Tempel immer getan.


Veröffentlicht unter dem Titel Da fehlen nur noch die Schießscharten in: Vorwärts Nr. 47, 16. November 1985, S. 21
 
Sa, 12.09.2009 |  link | (1371) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Architektur



Zitatenschatz

Neue Staatsgalerie Stuttgart

Den Anfang der restaurativen Architektur im heutigen Museumsbau machte Alexander von Branca mit seiner Münchner Neuen Pinakothek, einem Kunsttempel mit Burgcharakter. Ihm folgte Hans Hollein, der das Mönchengladbacher Museum Abteiberg zwar weniger pathetisch, dennoch theatralisch genug inszenierte. Und die jetzt, nach siebenjähriger Planungs- und Bauzeit, eröffnete Stuttgarter Staatsgalerie des britischen Architekten James Stirling läßt endgültig die Hoffnung dahinfahren, das rational-transparente Element könne (wieder) Einzug halten in die bundesdeutsche Museumslandschaft: Mit der Neuen Staatsgalerie wurde, wenngleich nicht ungeschickt, eine der erstaunlichsten Sammlungen moderner Kunst zelebrierend verpackt.

Der erste Anblick der 90-Millionen-Mark-Immobilie löst den Gedanken an eine antike Tragikomödie aus, inszeniert von einem Dorfschullehrer, der mal was von Peter Zadek gesehen hat. Gegenüber anderen Kulturgebäuden mit Lagerhallencharakter, von diesen auf Distanz gehalten durch eine sechsspurige Hymne an den Individualverkehr, hat der an Farben und Materialien gar nicht geizige Schotte eine architektonische Skulptur in einen Hang gesetzt, in der Formensprache angesiedelt zwischen einem überdimensionalen Sarkophag und einem zum Schleppkahn mißratenen Ocean-Liner.

Zusammengehalten werden die 2.000 Kubikmeter umbauten Raums aus Beton von einer vorgesetzten Fassade aus Naturstein. Die darangesetzten popfarbigen High-tech-Mätzchen haben wohl den Sinn, dieser Theaterkulisse etwas von ihrer Gewalttätigkeit zu nehmen beziehungsweise dem Besucher zu suggerieren, er begäbe sich jetzt auf einen Spielplatz.

Bevor sich diese neueste bundesdeutsche Kunsthülle entgültig als Kultstätte vermittelt, verabreicht Stirling erst noch einmal eine Beruhigungspille in Form der Eingangshalle. In ihr trifft das durch die geschwungene und gerasterte Fensterfront einfallende Licht auf einen leuchtend grünen Gumminoppenboden, hier wird man gewahr, daß der mehr als wohlbeleibte Architekt auch tänzeln kann.

Komplettiert wird diese Beschwingtheit durch das zunächst einzige Kunstwerk: Duane Hansons Putzfrau sitzt in der Ecke — wie übriggeblieben vom Premierereinemachen. Verziert wird dieser Vorhof zum Rückschritt noch von einem nett anzuschauenden lichtdurchwirkten Kassenrund mit einem Tresen aus Kirschholz, bervor's dann im banal grellen, historischen Skulpturenhof endgültig dunkel wird um die jahrzehntelangen Bemühungen aufklärerischer Architekten, die Museumsschwellen zu senken.

Stirling hat die ‹würdevolle› Feierlichkeit am Eingang sein lassen und einfach nach innen verlegt. In diesem edlen Innenhof muß der Besucher das Gefühl bekommen, das Bedeutungsschwangere müsse ihm jeden Augenblick auf den Kopf fallen. Wer sich dann absatzknallend aus dieser Kulturopferstätte geflüchtet hat, hat die Erholung, die die oberen Galerieräume (zunächst) bieten, auch verdient. Angenehm gegliedert und gereiht präsentieren sie sich, das von oben einfallende, durch leicht milchiges Glas gefilterte Naturlicht verträgt sich gut mit der künstlichen Beleuchtung.

All die Picassos, Schlemmers oder Beuys' verschaffen sich eindrucksvoll Geltung in diesen neutralen Räumen. Doch dann, es wär' so schön gewesen, geben es die innenarchitektonischen Details preis: Konsequenz, Klarheit ist des Briten Sache nicht. Was er unten beim Entrée (listig?) vermieden hat, Portalatmosphäre nämlich, wird oben, aus Holz und weiß gestrichen, an jeden Saaleingang geklebt: Herr Winckelmann und dessen Baumeister Schinkel, deren Klassizismus lassen schön grüßen. Vollends zur Bildungstümelei gerät, was wohl als Appell an das Traditionsbewußtsein gemeint ist: knapp einen Meter lange ‹Bruchstücke› ägyptischer Tempelgesimse in den Übergängen von den Wänden zu den Decken — Versatzstücke alter Baukultur aus dem Warenhaus.

Überhaupt ist dieses Museum, das aktuellste Kunst beherbergt und selbst (zwanghaft) Kunstwerk sein will, ein einziger Zitatenschatz — ein Nachschlagewerk der Architekturgeschichte. Überall wird nachgeäfft, was mal Geschichte gemacht hat. Wenn das, was dieser Radikale (Eklektizist) Stirling alles unter einen Hut gebracht hat, richtungsweisend wird, wird wohl bald, auch gesellschaftspolitisch, das Mittelalter eingeläutet werden.


Schweizer Radio DRS, Kulturmagazin Reflexe; Vorwärts Nr. 14, 29. März 1984, S. 26
 
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