Geist der Geometrie Alf Lechner Wenn ein — etwas despektierlich formuliert — «Rauminstallateur» wie beispielsweise Gerhard Merz vorgibt, sich mit seiner Arbeit vor der Moderne, beispielsweise eines Mies van der Rohe, zu verneigen, mutet das angesichts des Merzschen High-Tech- und Dekorationspathos (kunst-)geschichtsklitternd an. Betreibt ein Plastiker wie Alf Lechner seinen Geist der Geometrie, der in der Produktion des Teils den Blick auf das Ganze zuläßt, ist man nachgerade gezwungen, über das, im Habermasschen Sinne, unvollendete Projekt Moderne nachzudenken. Die Moderne hat im Lauf ihrer Entwicklung das Ornament eliminiert, da es seine ereignisfixierende Funktion verloren hatte. Und am Kulminationspunkt der Moderne, dem Bauhaus (dessen letzter Lehrer Mies van der Rohe war und dem die nationalsozialistische Kunstideologie den Garaus machte), waren die applikativen Augenwischereien gänzlich verschwunden — bis die Hitlersche Kleingeistigkeit dem falschen, verklärenden Pathos eine Rolle in der «Volksgesundung» zuwies. Zugunsten der Inszenierung des Raumes, die heute vereinzelt schauerliche Urständ feiert (s. o.), wurden der Raum an sich, die verschiedenen Perspektiven, die die Gliederungen in Zwischenräume ermöglichten, aus dem Feld des Denkens verwiesen. Seit er es betreten hat, hat Alf Lechner es nie mehr verlassen. Solche Formulierung vermag den Eindruck erwecken, es handele sich bei dem gebürtigen Münchner, genauer: Schwabinger, der seine Wohnsitze freiwillig nie allzu weit weg von der Isar-Metropole verlegt hat, um einen puritanischen Verfechter des Rationalen. Dem ist nicht so. Begegnet man ihm persönlich, ohne seine künstlerische Arbeit zu kennen, gewinnt man zunächst den Eindruck, es könne sich um einen Dorfschmied handeln, dem Bier, Brotzeit und Geselligkeit im dörflichen Wirtshaus und das heimatliche Brauchtum über alles gehe. Tatsächlich ist der Mensch, der Künstler Alf Lechner alles, ist einer, dessen Prämisse er selbst so formliert hat: «Blöd darf der Mensch sein./Ist er's nicht/muß er so gescheit sein,/daß er leben kann.» Bereits als Fünfzehnjähriger begann Lechner als (einziger) Schüler des Landschaftsmalers Alf Bachmann zu malen. Fast zwanzig Jahre lang malte er impressionistische Landschaften, in, wie Karl Ruhrberg schreibt, «lockerer, wirbelnder Pinselführung, die allerdings bald von abstrakteren Formulierungen abgelöst wurden, bei denen die wohlkalkulierte Proportionalität der Formen und der Klang der Farben eine entscheidende Rolle spielten». Bei der Malerei blieb er lange. Doch bis seine eigentlichen künstlerischen Intentionen Ausdruck finden und an die breitere Öffentlichkeit gelangen sollten, stand zunächst die «Gescheitheit» im Vordergrund, «daß er leben kann». Lechner erfand und produzierte (auch das erinnert an die Moderne, an das Bauhaus) Teile, die letztendlich das Ganze ausmachen: Lampen, Leuchten, Stühle. «Die Erfahrungen, die er dabei vor allem im Umgang mit den verschiedenen Materialien machte», stellte Karl Ruhrberg fest, «sind für seine spätere künstlerische Arbeit von essentieller Bedeutung.» Lechners Plastiken (Eduard Triers Definition: Der Bildhauer nimmt weg, der Plastiker baut auf) blieben deshalb nicht anonym wie die Objekte der Minimal art, Lechners künstlerische Individualität, «seine Vitalität und seine Aggressivität», so Ruhrberg weiter, seien «auch in der rigorosesten Abstraktion identifizierbar». Es ist eine Abstraktion, die einer Moderne huldigt, deren Wurzeln in die Mitte des 17. Jahrhunderts reichen, in den «Geist der Geometrie» von Blaise Pascal, einer Abhandlung, die der Schöpfer der Mengenlehre, Georg Ferdinand Cantor, als ersten modernen Versuch einer Philosophie der Mathematik bezeichnet hat und in der Pascal das Einssein Geometrie von beweisendem Geist sehe. Jede der Lechnerschen Plastiken stellt einen Mikrokosmos dar, dem Spinozas Sentenz zuzuordnen ist: «Die Wahrheit wäre dem menschlichen Geschlecht in Ewigkeit verborgen geblieben, wenn nicht die Mathematik, in der es sich nicht um Zwecke, sondern um die Wesenheit und die Eigenschaft von Figuren handelt, den Menschen eine andere Wahrheitsnorm gezeigt hätte.» Spinoza übte entscheidenden Einfluß auf den deutschen Idealismus und die Romantik aus. Der Begriff Romantik definiert nicht den Menschen, der im PKW zur Talstation fährt, von der Seilbahn zur Almhütte transportiert wird, in der er beim Schein der Petroleumlampe weniger trunken als eher betrunken Mutter Erde besingt. Romantik meint den Menschen als Teil der Natur, und die Natur ist der Raum, in dem der Mensch sich bewegt, sich bewegen darf. Lechners (mathematisch-geometrischer) Bezug Mensch im (Um-)Raum ist evident. Er reflektiert Räume («Die Kugel verdrängt mit der kleinsten Oberfläche den größten Raum.»), und er widerspricht der oft geäußerten Meinung, seine Arbeiten huldigten der Architektur. Tatsächlich kapriziert sich die Architektur der letzten Jahre darauf, selbst Kunstwerk sein zu wollen, geriert sich solitaristisch. Lechners Plastiken sind jedoch, so gesehen, selbst Architekturen, bereits durchdachte Teilforme(l)n dessen, das uns umgibt, sind also autonom innerhalb des Netzwerkes, das wir geknüpft haben. «Anders formuliert», schreibt Joachim Heusinger von Waldegg, «Konflikte wurden in plastische Abläufe, Prozesse so eingebunden, daß sie sich nicht mehr isolieren oder emotional entäußern können, sondern — ins System eingeschmolzen sind. Das macht sie weniger dramatisch, appelliert mehr an die Verfeinerung unseres Instrumentariums der Sinneswahrnehmung: Stimulierung von Seherfahrungen.» Nach wie vor ist belegt, daß Lechner nicht zurück-, sondern nach vorn blickt: Es zeigt sich, was Dieter Ronte 1985 erkannte: «[...] eine Emotionalität [...], die vielleicht nur in dem Konstrukt des rechten Winkels erdacht werden konnte. Logik, Gedanke, Hoffnung auf Besserung, gesellschaftliche Projektion, Utopie und Gegenwart verschmelzen in der Sinnlichkeit der Oberflächen ...« Weltkunst 21.1990
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