Die Zeit war ein gieriger Spieler

Sprache der Kunst
Hans Platschek

Da planen hauptamtliche Mitarbeiter eines (west-) deutschen Kunstvereins eine Ausstellung, die unter anderem das Informel zum Thema hat. Doch sie kennen ihn nicht. Auch die Situationistische Internationale soll dabei ins Bild, zur Sprache kommen. Als eine Kollegin darauf verweist, daß man bei diesen Themen wohl um ihn kaum herumkomme, fehlt selbst dem künstlerischen Leiter letztere, wußte er doch nicht, daß er der deutsche spiritus rector dieser Epoche war.

War. Denn einer der letzten Zeitzeugen der neueren Kunstgeschichte ist im März dieses Jahres (2000) gestorben: Hans Platschek. Und wem von diesen Zeitgenossen mit der, um die gekonnt flapsige Bemerkung der Kollegin heranzuziehen, «leicht eingeschränkten Halbwertzeit» denn dafür die Worte fehlen, dem half der 1923 geborene Meister der Kunst-Ketzerei noch kürzlich, in der ihm eigenen Sprachgewalt, persönlich auf die Fährte der Erinnerung. Zum Beispiel mit seinem letzten Buch: Die Zeit ist ein gieriger Spieler (Europäische Verlagsanstalt, 1999).

In zwölf Kapiteln sinniert er in seiner eigen-artigen Sprache, in seinem eigen-willigen Denken: Über die Malerei des 20. Jahrhunderts und setzt damit Titel fort wie Engel bringt das Gewünschte. Kunst, Neukunst, Kunstmarktkunst. (1978), Porträts mit Rahmen (1981) oder Von Dada zur Smart Art (1989).

Und Über die Dummheit in der Malerei (1984) war ein weiterer dieser seine Diktion so kennzeichnenden Titel, der eigentlich zur Pflichtlektüre von Absolventen kunsthistorischer Fakultäten gehören sollte. Denn Hans Platschek war immer auch das, was immer wieder (in einfältiger Art) der Kunstkritik vorgeworfen wird, es nicht zu sein: Künstler, genauer: ein Maler. (Im Frühjahr 1999 zeigte die Kunsthalle Emden eine Retrospektive.) Und mit eben dieser Malerei (Biennale Venedig 1958 und documenta II 1959) war Platschek heftig diskutiert, es ließe sich auch behaupten: umstritten. Denn lange bevor die Alles-ist-machbar-Generation Francis Picabias Diktum vom runden Kopf und den sich darin bevorzugt richtungsändernden Gedanken adoptierte, malte Platschek diese Zickzackbewegung. Eben noch Mitbegründer des deutschen Informel, besann er sich der Figuration, um dem Öl dann, als die Kunstbeschreibung meinte, endlich eine Richtung für ihn gefunden zu haben, nämlich die der Orientierungslosigkeit, auch schon wieder eine andere Fließgeschwindigkeit zu geben.

Am kurzweiligsten (und die Bewegungen der Kunstgeschichte immer erneut aufgreifend) liest sich das in seinen aphorismusartigen Kommentaren. «Ich erinnere», steht im jüngst erschienenen Büchlein Figuren und Figurationen. Über Malerei und mich selbst,, «an André Bretons Vorwürfe gegen Braque und De Chrico, die ‹brav zur schönen Malerei zurückgekehrt sind›.» Platschek, der es sich (nicht ohne Koketterie) verbat, Kritiker genannt zu werden, war es gleichwohl, etwa wenn er mit seiner rhetorischen Volte «Das Geistige in der Kunst wird mit der Hand gemacht» paraphrasierte und im Anschluß an diese Überschrift auf höchstem intellektuellen Niveau Piet Mondrians Aussage sezierte, er sähe keine Quadrate in seinen Bildern.

Hier der Künstler: «Der Maler, der mitteilt, was er über Malerei denkt, unterscheidet sich vom Historiker, Kritiker oder Theoretiker dadurch, daß er Erfahrungswerte mitteilt. Sie, vom Material und den Zeichen gestützt, kann er in Worte fassen. Läßt er sich jedoch in eine vorgeschaltete Eidetik ein, auf Heuristik oder auf Programme, so stimmt etwas im Geschriebenen nicht und meistens auch nicht in den Bildern: entweder er ist ein Tölpel oder er betreibt sales promotion.»

Dort der Theoretiker zur «Idee, mit Fremdmaterialien Werkstücke herzustellen»: «Mit den Mitteln der Malerei ... (oder der Plastik) ist eine solche doppeldeutige Realität nur durch Imitation zu erreichen, ein Verfahren, das im Widerspruch zu der eigenen Dinglichkeit der Malelemente steht.»

Und der (immer bissige) Polemiker: «Picassos Ruhm, wer weiß das nicht, rührt von seinen Frauengeschichten her, der Ruhm van Goghs vom abgeschnittenen Ohr. Constantin Brancusi läßt da zu wünschen übrig. Ideal wäre es, wenn Emil Schumacher oder K. R. H. Sonderborg die Rolle des Professor Brinkmann in der ‹Schwarzwaldklinik› übernähmen.»

Hoffentlich erhält er nach seinem Tod wenigstens die Rolle, die ihm gebührt: eine entscheidende.


Weltkunst, 2000

•••

Ach Junge, schloß er im vergangenen Jahr die dann neuerlichen Aufregungen über diesen ständig um uns herumtrabenden Holzgaul aus Troia, in dem so viele Krieger wider die Kunst hocken und warten, bis sie sie endlich totmachen können, lies doch einfach. Lies! Das habe ich denn auch getan, damals und heute: Kunst, Neukunst, Kunstmarktkunst, zum Beispiel.

Er hatte gerne das (vor)letzte Wort. Also haben wir ihm letzteres gegeben. Dabei ist dies eines, das dort stehen müßte, wo er immer stand und dachte und ging (auch wenn das nicht mehr so richtig lief in den letzten Jahren): weit vorne (auf Seite 9–11). Aber Avant-Garde ist nunmal ein Begriff, den er eher dem Militärischen und damit Unaussprechlichen zuordnete, und wenn er doch von ihm ausgesprochen wurde, dann eher verhohnepipelnd. Und da er sich inmitten von Kurzschrift so wohlgefühlt (Kurzschrift 2.1999) hat wie seinerzeit im Laubacher Feuilleton, haben wir ihm eben den Platz eingeräumt, an dem er sich befand und der ihm auch und mehr noch nach seinem Tod am 9. Februar gebührt: mittendrin (und deshalb die Feder führend). Der Makler und der Bohemien heißt sein Stück aus den siebziger Jahren, bei dem seinerzeit nicht unbedingt alle applaudierten (und dessen ‹Wiederaufführung› aus — den offensichtlich immer — aktuellen Gründen in Kurzschrift wir Mitte vergangenen Jahres vereinbart hatten).

Leider können wir Hans Platschek nicht mehr persönlich für seinen ‹Befehl› «Druck halt das da...» danken.

... Klarheit, und die sollte noch in ein gemeinsames Buchprojekt fließen — mit dem Verlag Christina Schellhase. Also mischen wir die Tränen der Trauer mit der Asche der vielen, vielen Zigaretten, die wir noch auf ihn rauchen, und lassen sie hineinfallen in die Whiskies, die wir noch auf ihn trinken.

dbm

Kurzschrift 3.2000
 
Di, 20.10.2009 |  link | (1617) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Abschied






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