Realismus auf Rupfen oder Gerupfte Realität

Die Idyllen des Michael von Cube

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Wann fände Michael von Cube «den Weg zu einem fairen Menschenbild?» fragte Wolfgang Längsfeld 1983 in der Süddeutschen Zeitung. Dazu hätte der sich allerdings auf die Suche machen müssen im unendlichen Meer des Menschelnden. Doch Anwandlungen politischer Korrektheit hätten dem Naturell des «Spezialisten im Männchenzeichnen» bereits Anfang der Achtziger eher widersprochen. Und «glücklicherweise», so Andreas Kühne, «ist seine Kunst bis heute nicht in einem ‹fairen› und damit zwangsläufig spannungs- und reibungslosen Bilderhafen angekommen».

Vor rund dreißig Jahren wurde, wer figurativ malte oder zeichnete oder beides, ans Ende einer Schlange verwiesen, wie sie heute wohl nur der in der Realität bestimmter Ämter Angekommene kennt. Cube zählte zu den sogenannten Realisten, er zeichnete gegen den kerzengeraden Strich der Zeit: figürlich. Das war verpönt zu dieser Zeit, das war «restaurativ»; ein herumliegender Denkbrocken aus dem Steinbruch der kulturrevolutionären Anfangssiebziger. Da ging man doch lieber gleich (heimlich) ins Museum und «erholte sich bei den Alten Meistern». Das war unverdächtiger, als einen gerupften und auch noch zeitgenössischen Realisten auf billigem Rupfen anzuschauen.

Zwar wußten viele nicht so recht, was der Begriff Abstraktion bedeutet, aber sie huldigten ihr. Der Kenntnisreichere leitete sie in erster Linie aus einer Doktrin ab, deren Sinn-Bild in Kasimir Malewitschs kurz nach der russischen Revolution gemaltem Schwarzen Quadrat wurzelte. Verständlicher- und konsequenterweise wollten diese Ideen nach der Entartung der Kunst, die der Braunauer Idyllenmaler und seine Rosenbergs proklamiert hatten, erst einmal fortgesetzt und weitergedacht werden. Wer jedoch etwas darstellte, das Hand und Fuß (zum Inhalt) hatte, tat sich schwer am Markt, vor allem an dem der Kunst. Von den Fachleuten waren es nur wenige, die dem späten und immer exzessiver werdenden Theorietaumel nicht folgen wollten (oder konnten?) und mit hineinrückten in diese Nische dieser Realisten, denen die Welt sich nicht unbedingt ganz so linear-eckig darbot. Ein Wolfgang Jean Stock als Leiter des Münchner Kunstvereins (1978 bis 1985) wäre da zu nennen oder der 2006 gestorbene Friedrich Eversberg, eher Sammler und Freund als Händler.

Betrachtet man das heutige Kunstgeschehen, hat die Figur sich ihren Raum zurückerobert. Sie findet sich überall, hauptsächlich allerdings in Video, auch in einer Photographie, die vor gar nicht so langer Zeit als ein realitätsvermittelndes, rein dokumentarisches Medium galt. Und in der Malerei hat sich seit einiger Zeit eine geradezu unwirkliche Wirklichkeit Bahn gebrochen. Christoph Tannert meinte im Freitag zu diesem Phänomen bereits 2005:

«Wenn man heute wieder von ‹der› Leipziger Schule spricht, dann kann das natürlich leicht zu Mißverständnissen führen. Denn es muß gefragt werden: Welche Leipziger Schule ist gemeint? Die von Bernhard Heisig oder die von Arno Rink, die von Hartwig Ebersbach und seinen Versuchen offener intermedialer Arbeit oder die von Volker Stelzmann, der nach seinem Abgang in den Westen an der Berliner Hochschule der Künste (heute UdK) seine malerischen Impulse gehobener mönchischer Düsternis weiterhin international verbreitet. Oder meinen wir das neo-renaissancistische Ideal von Werner Tübke, dem es gefiel, einerseits seine persönlichen Kontakte ins Headquarter der Diktatur des Proletariats zu pflegen und andererseits durch sein Herumturnen auf der Zeitachse die Provinzfunktionäre in die Verwirrung zu treiben?»

Für Tannert war klar: «Die Preise steigen.» Er sollte recht behalten. Wer heute ein Bild aus dem Umfeld derer kaufen möchte, die «als pinselbereite Jungkünstler die Malklassen an den Akademien stürmten, nachdem sie vorher noch Model oder Popstar werden wollten», wird das Geld dafür kaum aus seiner Börse ziehen, sondern er wird es eher an selbiger gemacht haben (oder zuvor eben gerade noch sein StartUp ummünzen können).

Womit wir zurück sind bei der Abstraktion. Zum einen, da ein solcher Rummel wohl eher dieser Kategorie zuzuordnen ist, und zum anderen, da einer der führenden Leipziger Popstars damit ebensowenig umzugehen weiß wie weiland der Unwissende der ausgehenden siebziger Jahre ff. Neo Rauch heißt er und lehrt als Professor an eben jener Kunsthochschule, an der man ihn die «Neue darstellende Malerei» gelehrt hat, den Unterschied zwischen einem schnell gemalten abstrakten Bild und einem figürlichen, das Arbeit macht. Von einer solchen bescheidenen Denkleistung mal abgesehen: Man hat ihm offensichtlich nicht beigebracht, daß zunächst einmal jedes Bild abstrakt ist. Auch das von Neo Rauch gemalte. Oder die auf dem Flohmarkt erstandene Leipziger Zigeunerin oder der im Kaufhaus erworbene röhrende DDR-Hirsch. Kunst, wir sollten das einleuchtende Klee-Diktum ja mittlerweile verinnerlicht haben, gebe nicht das Sichtbare wieder, sondern mache sichtbar. Abstrahieren heißt nichts anderes, als das Unwesentliche vom Wesentlichen (oder umgekehrt) trennen. Abstraktion bezieht sich folglich nicht — wie oftmals vermutet (weil falsch gelehrt?) — alleine auf Geometrie oder Konstruktion — sondern selbstverständlich auch auf Figuration.

Die Arbeiten des Michael von Cube sind dafür exemplarisch. Er nimmt ständig weg, reduziert, stellt mittels Denken, Materialien und Maltechnik Freiflächen her, auf denen die Opulenz der Phantasie tanzen darf. Von Cube füllt Haltungen auf, indem er wegläßt. Das eigentlich Prägnante am Menschen tritt zurück zugunsten der Aussage, die er über sein Äußeres vermitteln möchte. Wo eigentlich ein Gesicht Wesentlichkeit präsentieren müßte, ist (die der Wirklichkeit entsprechende) Leere sichtbar. Cube hat sie sozusagen hin-und-weg-abstrahiert zugunsten einer posierenden Stellungnahme — die Wanderer vor dem Grünen Tor, die Zugschaffner in Bahnhof, das Möchtergern-Model, das einzig den Blick auf Fashion gelenkt haben will. Nicht das Sein, sondern das (bißchen) Habe(n), der manchmal nicht so schöne Schein also ist maßgeblich für den Auftritt, sei es bei der Bergwanderung oder vorm klein' Häuschen (wüstenrot). Attitude ist das Hauptmerkmal. Wie's da drinnen aussieht, geht niemanden was an. Denn es könnte eine beklemmende Ödnis sichtbar werden.

Doch diese Einblicke in eine an Debilität grenzende Hohlheit werden dann eben doch gezeigt: in diesen Zeichnungen und Bildern. Wo Pygmalion sich vor einer fleischgewordenen Aphrodite fürchtet, spendet Michael von Cube ihr noch Blut. Ein wenig nur, aber das Leben fließt! Und das trotz einer bemerkenswerten Flächigkeit in dieser Malerei (aber durchaus auch in der Zeichung). Die auch in ihrer «Farblosigkeit» immer noch prägnanten Gesichter sagen nur noch aus, daß sie nichts aussagen. «Mit scheinbar leichter Hand», schreibt Andreas Kühne, «zeichnet, malt und aquarelliert von Cube Physiognomien, Begegnungen und Interieurs einer mit Bosheit, Niedertracht und Banalität kontaminierten Welt.» Doch von Cube ist nunmal Realist. Die Wirklichkeit ist bereits vorhanden — er macht lediglich sichtbar durch seine spezifische Abstraktion. Der in alten Bildern und Schriften geschulte Wissenschafts- und Kunsthistoriker Andreas Kühne bemüht Lessing, Lichtenberg und Hogarth: Auf sie «verweist der aufklärerische Impetus» von Cubes Bildern, «die uns nicht belehren, sondern den Zerrspiegel vorhalten wollen».

Nach David Low war William Hogarth (18. Jahrhundert) der Großvater der Satire. Demnach ist Michael von Cube dessen Enkel. Und so detailversessen Hogarth eine Welt gezeichnet hat, die nicht annähernd auf die Idee gekommen wäre, wohin die Bilder einmal laufen würden, hält Michael von Cube ebendiese Bilder an, friert sie ein, wie es in den elektronischen Medien heißt, piekst in diesen Ballon heißer Luft, die sie tausendfach mal vierundzwanzig Stunden täglich produzieren. Dabei ist es eben nicht unbedingt allein die Welt des Glitzers und des Glanzes, deren substanzlose Innereien Michael von Cube in den Vordergrund rückt. Seine Ab-Bilder, um bei den neueren Medien als Spiegel der Gesellschaft zu bleiben, deuten weniger die sogenannte Primetime des privaten = öffentlich-rechtlichen «Gernseh-Abends» (RBB). Von Cube läßt seine Kunst eher bei den Seifenoperettchen des Vorabendprogramms oder dessen regionaler Berichterstattung zuschauen, in der der Sparkassenfilialleiter oder der kleinstädtische Sonderschullehrer auch mal vor die Kamera dürfen (und davon lange zehren). Früher posierten Ali, Suleika, Schöne Frauen, Oma & Opa, Sepp & Hans für Photographien, von denen sie insgeheim hofften, sie würden veröffentlicht, wenigstens im kostenlosen Anzeigenblatt. Heute treffen von Cubes satirischen Giftsp(r)itzen fast eher ins Internet, tätowieren allen diesen Tanja-Anjas (vier Semester BWL) und Jennifer-Jacquelines (hairstyling) zusätzlich je ein luftiges Arschgeweih in die billigheimerbunten Antlitze. Und die hippen Mädels stellen diese malerischen Punktierungen dann auch noch geschmeichelt in ihre Weblogs genannten Poesiealben, in denen sie auch schonmal über die Putze feixen, die sie neulich verbal abgebasht (und anschließend -geknipst) haben. Auch umflort sich darin längst der Feuilletonist, der gänzlich unspießig die anderen Spießer essayistisch demaskiert.

Das Sujet hat sich nicht geändert, das Michael von Cube seit (mehr als) zwanzig Jahren ab- und behandelt. Farben und Formen durchaus ein wenig. Wo früher, vor allem in den Anfängen der frühen achtziger Jahre, der bisweilen karikaturistische Strich das Blatt füllend dominierte, tritt er heute zurück zugunsten einer flächigeren Charakteristik. Die Allegorie des jeweiligen ganz besonderen (seelischen) Zustandes des Einzelnen benötigt keine Ziselierung mehr. Da nimmt Michael von Cube durchaus das «unterhaltend» kommentierende 19. Jahrhundert auf, in feiner Nachbarschaft zum Don Quixote von Honoré Daumier.


Einführungstext im Katalog zur Ausstellung Michael von Cube. Malerei und Zeichnung (ein Rückblick auf zwanzig und mehr Jahre), Galerie Theresien 13 in München, Mai 2008.
 
Fr, 23.10.2009 |  link | (1573) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Michael von Cube


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