Die Holographie und die Kunst

Ein Vortrag
Meine Damen, meine Herren,
Sie alle hier haben das sicherlich schon einmal erlebt: Ein Kind bekommt eine Photographie vorgelegt. Zumindest im Kleinkindalter, im Alter von zwei bis vier Jahren, wird der Nachwuchs das Photo in einer Art und Weise einer Betrachtung unterziehen, die dem ‹routiniert› sehenden Erwachsenen abhanden gekommen ist, die sich so artikuliert: Nach einer ausführlichen Begutachtung der Vorderseite der Photographie schlägt die sogenannte kindliche Neugier — oder auch kindliche Aufgeschlossenheit, die die Zielrichtung des Neu-Zu-Erlebenden hat —, schlägt dieses kindliche Wissen-Wollen durch: das Kind schaut hinter die Photographie. Da muß doch etwas hinter den Dingen, dem Gesehenen sein, signalisiert der kindliche Denkmechanismus, ausgelöst von einer Logik, die noch gänzlich auf Begreifen ausgerichtet ist. Die bislang gemachten Erfahrungen des ein-, zwei- oder dreijährigen Kindes, gespeichert in dem kleinen Hirn — nicht im Kleinhirn —, kommen zum Tragen: Mutter, Vater, alle anderen Menschen im mittel- oder unmittelbaren Umfeld, der Stuhl, der Tisch, das Bett, alle anderen Gegenstände des täglichen Lebens, werden räumlich, also dreidimensional wahrgenommen. Und nun reißt die Photographie, auf der vielleicht die Eltern im Wohnzimmer, möglicherweise es selbst zu sehen, zu erkennen sind, das Kind aus allen bisherigen Erfahrungen: die Photographie bietet nicht mehr als eine platte Draufsicht. Daß etwas, wie in der real angetroffenen Welt, neben, ja hinter den Dingen ist, daß etwas nicht umgangen, also umgehend, umgreifend, ganz, vollständig erfahren werden kann, will so ohne weiteres in das kleine Hirn nicht hinein. Doch der Blick des Kindes hinter die Photographie hilft ihm nicht weiter. Wo sonst Raum, Tiefe ist, ist jetzt nur ein weißer Fleck, ein weißer Fleck, der für die fehlende dritte Dimension steht. Diese Erfahrung macht das Kind übrigens die ersten Male auch beim Fernsehbild — ein Beispiel, das nach den neuesten Erfahrungen, die im Bereich des Fernsehens ja mittlerweile auch hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland bzw. im Bereich des Österreichischen Fernsehens gemacht werden konnten, nur noch zum Teil stimmt; wir hatten ja schließlich, unter Zuhilfenahme von Polarisationsbrillen, die ersten ‹plastischen› Bilder aus dem Fernsehgerät im 3-D-Verfahren, genauer: stereoskopische Bilder, nicht zwei-, aber auch nicht dreidimensional. Aber dazu später mehr. — Beim normalen Fernsehbild jedenfalls schaut unser Versuchskind hinter das Gerät, angetrieben von Seherfahrungen, die auf Räumlichkeit verweisen.

Ich gebrauchte vorhin die Adjektive ‹ganz› beziehungsweise ‹vollständig›. Mit ‹ganz› respektive ‹vollständig› ist auch die erste Einheit des Begriffsgebildes Holographie zu übersetzen. Holos kommt aus dem Griechischen und heißt, wie gesagt, ganz, vollständig. Der zweite Teil vom Ganzen, vom ganzen Wort Holographie, ebenfalls dem Griechischen entstammend, wurzelt im Begriff ‹graphein›, was soviel heißt wie ‹schreiben› oder ‹ritzen›, ‹einritzen›. Bleiben wir bei der geschriebenen oder auch geritzten Information, denken wir an die Graphik, an die Lithographie, deren Zwischenstation ja die geritzte Stein- oder Kupfer oder Metallplatte anderer materieller Beschaffenheit ist. Bevor ich jetzt auf die Beschreibung beziehungsweise Herstellung eines Hologramms komme — der Holograph übrigens erstellt, macht Hologramme und nicht, wie eine Händlerin in der Wochenzeitung Die Zeit per Inserat anbietet, Holographien —, bevor ich jetzt also auf das Hologramm komme, noch einmal kurz zurück zu unseren Versuchskindern. (Von Kindern, so heißt es ja bekanntlich, könne man lernen.)

Nehmen wir mal an, die Versuchskinder sind wir, beispielsweise geboren an der Schwelle zum Jahr 1948, dem Zeitpunkt, an dem — im wahren Sinn des Wortes — die Holographie das Licht der Welt erblickte. Wir sind also das, was man gemeinhin — übrigens im Gegensatz zur künstlerischen Holographie — als erwachsen bezeichnet. Demnach bezeichnen wir uns als mehr oder minder — je nach Begabung, Ausbildung und Lernbereitschaft — als erfahren, was das Sehen, das Wahrnehmen betrifft.

Wie dem auch sei: Viele der hier Anwesenden, nicht alle, aber doch viele, haben sich im Laufe der Zeit — es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriffen hatte, daß ich mich bewegen muß, um die gesamten Informationswerte, zunächst im einzelnen, dann im gesamten, zu erfassen, zu begreifen, zu verarbeiten. Kurzum: Mit Hilfe der Holographie gelang es mir, einige Degenerationserscheinungen an meinen Seh- und so Verarbeitungsapparat zu eliminieren; ich gucke heute, wie es so schön heißt, anders aus der Wäsche, gucke besser, gucke genauer hin. Ich habe den abhanden gekommenen Teil des Ganzen, Vollständigen wiedergefunden. Meine Optik macht keine zweidimensionalen Schnappschüsse mehr von dreidimensionalen Objekten oder Gebilden. Und lassen Sie mich, ein wenig doch im Zwang des Unterstreichen-, des Untermauernmüssens, die Kölner Malerin und Photographin Brigitte Burgmer zitieren, die sich seit rund drei Jahren mit aller erdenklichen Distanz Gedanken über das ‹Phänomen› Holographie macht — und mittlerweile selbst ihr erstes Hologramm gefertigt hat. In einem Aufsatz mit dem Titel Überlegungen zur holographischen ‹res extensa› anläßlich des ‹Cartesianischen Portraits eines jungen Malers›, der, neben der Holographie, einen Anknüpfungspunkt bei den Meditationen über die Grundlagen der Philosophie von Descartes sucht, schreibt Brigitte Burgmer: «Bei einem großen Hologramm eher denn bei einem kleinen kann ich mich ‹täuschen› lassen: indem ich mich dem holographischen Imago überlasse, setze ich das Objekt als seiend. Die räumliche Ausdehnung hilft mir dabei, wie es einem Foto nicht möglich ist, das dem zweidimensionalen Bereich der Grafik und Malerei nahesteht. Dennoch kann man die Holographie schon jetzt auch dem Bereich der Kunst zuzählen. Und in diesem Sinne hat Descartes die Kunst eingeholt. — Das beobachtete Verlangen, Bilder (wieder) zu verräumlichen, setzte bekanntlich lange vor Descartes in den bildenden Künsten ein, aber die Holographie ‹überbietet› die Renaissance gewissermaßen. Die Zentralperspektive feiert heute eine umfassende Wiedergeburt: wenn ich an ‹Tron› denke, den ersten Film mit grafischen Landschafts- und Raumdarstellungen, die mittels Computer entworfen wurden, sehe ich Parallelen zur Holographie; jene (oft linearen) tiefenräumlichen Bilder erzeugen eine Faszination, wie sie die Holographie erzeugt, besser: erzeugen wird, denn sie steht ja noch am Anfang ihrer Möglichkeiten im Bildlichen.»

Ja, was ist denn nun die Holographie?! Sie hat auf jeden Fall nichts mit — ein bißchen anekdotisch, aber doch bezeichnend ist das Gespräch, das ich mit einem Kulturredakteur der Deutschen Welle in Köln hatte. Ich bot ihm, vor etwa drei Jahren, einen Beitrag über Holographie an. «Holo, Holo ...», dachte er laut am Telephon nach, «hat das was mit Holocaust zu tun?» Ich schwöre, die Wahrheit zu sagen, und nichts als die Wahrheit. — Also: Die Holographie, das Hologramm. Ich will mich jetzt hier auf Schilderungen, auf die Geschichte der Holographie und ihre Anwendungsmöglichkeiten konzentrieren. So wie sich früher andere um ‹Erklärungen› bezüglich der Photographie, der Lithographie, von Video und so weiter bemühen mußten.

Das Hologramm ist, gemäß seiner Herstellung, ein höchst kompliziertes ‹Gebilde› — und dabei doch nur ein Film. Allerdings einer, der sich über uns, über unsere Seh-Erfahrungen lustig zu machen scheint. Von einem Film wissen wir, daß er eine plane Fläche hat. Der holographische Film ist von derselben Beschaffenheit, wenn auch die Beschichtung eine andere chemische Zusammensetzung aufweist als der in der Photographie. (Nicht nur aus Zeitgründen will ich auf einen Exkurs in die Chemie oder auch in die Physik verzichten; da gibt es kompetentere Zeitgenossen als mich. Wer im Anschluß an meinen Vortrag Fragen dazu hat, kann sie an Herrn Mielke richten, und auch ich will nachher, in der Holographie-Galerie, soweit ich dazu in der Lage bin, Detailfragen zur Technik beantworten.) Aufgrund der holographischen Technik also springt uns von diesem holographischen Film, von dieser holographischen Platte im wahrsten Sinn des Wortes etwas ins Auge, kommt uns aus dem Hologramm heraus etwas entgegen; das ist dann, der Fachsprache entsprechend, ein ‹reelles› Raumbild. Erscheint bei der Betrachtung des Hologramms, bei der Betrachtung dieser ›Lichtplastik› diese hinter der holographischen Platte, so spricht man von einem ‹virtuellen› Bild. Es gibt allerdings auch Hologramme, die sowohl reell als auch virtuell sind. Ein Beispiel dafür wäre das Hologramm von Harald Mike Mielke mit dem Titel Buddhas Verkehrsunfall, eine holographiespezifische witzige Interpretation eines Kenners fernöstlicher Weisheit: Das Auto, aus dem der Erleuchtete herausgeschleudert wurde, steht hinter der Bildplatte, ist also ‹virtuell›, und Buddha selbst ist ‹reell›, steht dem Betrachter des Hologramms näher, befindet sich zwischen der Bildplatte und dem Betrachter.

Lassen Sie mich, der Vollständigkeit halber, weil ich gerade dabei bin, die vier verschiedenen Hologramm-Typen nennen. Da sind: Das Transmissionshologramm oder auch Durchsichtshologramm, weil die Lichtquelle des Hologramms von der entgegengesetzten Seite des Betrachters kommt. Dann gibt es das Reflexionshologramm oder Draufsichtshologramm; hier ist das Licht, die Lichtquelle auf der Betrachtungsseite. Nummer drei ist das Multiplexhologramm, auch Stereogramm genannt. Bei einem 360-Grad-Multiplexhologramm sind über tausend Einzelbilder erforderlich, die mit einer herkömmlichen Filmkamera ‹vorgefertigt› werden. Bei dieser Herstellungsweise werden Bewegungsabläufe sichtbar wie etwa ein in einen Tunnel ein- und ausfahrender Eisenbahnzug, eine junge Frau, die, wie beispielsweise in der Photoabteilung des Münchner Stadtmuseums, den Besuchern Kußhändchen zuwirft, oder eine witzige, die Möglichkeiten dieses Mediums verdeutlichende Spielerei des Amerikaners Dan Schweitzer, auf der? in dem? er aus einer Kinoleinwand heraus ins Publikum greift. Und dann gibt es noch das Weißlicht-Transmission-Regenbogen-Hologramm. Bei ihm wird das räumliche Bild mit den Strahlen des normalen, sogenannten Weißlichtes — also zum Beispiel, im besten Fall, mit Tageslicht sichtbar gemacht. Dieses Bild erscheint im Bereich des gesamten Farbspektrums.

Ein Regenbogenhologramm ist die Lichtplastik mit dem Titel Ei.n von Harald Mike Mielke. Ei.n: also nicht eins, zwei, drei, sondern Ei x n, genauer: Ei x unendlich; klein n steht in der Physik für unendlich. In Augenhöhe hängen zwei 30 mal 30 Zentimeter große Glasplatten, zwischen denen das Hologramm, der Film im Format von 13 mal 18 Zentimeter, befestigt ist. Ohne (direkte) Beleuchtung — wie bei allen anderen Hologramm-Typen kann man durch die Platte sehen, zu erkennen sind lediglich schemenhaft ein paar Wellenlinien, die sogenannten Interferenzmuster. Nach Einschalten des Halogenspots, der exakt 62 Zentimeter über der Unterkante des Quadrats montiert ist, beginnt sozusagen die erste Phase der Erleuchtung. Drei, vier und mehr an der Spitze aufgebrochene Eier werden sichtbar, in horizontaler Anordnung und in grellem Grün. Bereits nach einer minimalen Aufwärtsbewegung verändern sich die Farben. Eine Abwärts/Seitwärtsbewegung, und die Sicht wird frei auf eine scheinbar unendliche Figurationskette von Eiern, die sich freischwebend und verjüngend irgendwo hinten im Raum verliert. Mit jeder noch so geringen Standortveränderung wechselt sie, innerhalb der Spektren, Farbe und Linienführung.

Ich erwähne, beschreibe dieses Hologramm mit Vorliebe, weil ich dieses (derzeit sicherlich noch arg eingegrenzte) reizvoll und auch witzige Spiel mit der Grenzenlosigkeit der Materie als Synonym sehe. Ei.n steht für mich als Synonym für die Möglichkeiten, die sich, auch im Bereich der bildenden Kunst, durch die Holographie auftun. Ei.n interpretierend sehe ich das so: Für Mielke ist die Keimzelle der Ausgangspunkt organischen Lebens, ergo des — unter anderem — Denkens. Die Möglichkeit der dreidimensionalen Abbildung ist ihm Vehikel für den Hinweis, daß nur ein Bruchteil intellektueller Potenz und der daraus resultierenden Erkenntnis genutzt wird. Und er hat die Frage ‹Ei oder Huhn, Huhn oder Ei? was denn nun zuerst dagewesen sei?› medienspezifisch um eine, um seine Dimension erweitert — um die dritte
Anhand des Beispiels mit dem Titel Ei.n läßt sich die Arbeit des künstlerischen Holographen, des Holographen im allgemeinen hervorragend beschreiben. Von diesem Hologramm existieren 100 Exemplare, an denen Mielke in seinem Labor neun Monate gearbeitet hat. Dem Katalog des Neuen Berliner Kunstvereins, in dessen Räumen im Februar 1979 die erste Holographie-Ausstellung auf deutschsprachigem Gebiet stattfand, entnehme ich die Äußerung Mielkes: «Laser-Licht, das Arbeitszeug eines Holographen ist wie für einen Bildhauer der Rohling. Natürlich schwingen wir nicht den Meißel, um die Materie zu bearbeiten, sondern benutzen Spiegel und Strahlenteiler, um den Photonenflohzirkus zu dressieren, damit hinter so etwas wie eine ›Lichtskulptur‹ herauskommt. Insofern unterscheidet sich der Arbeitsvorgang beim ›holographieren‹ grundsätzlich vom ›photographieren‹. Das Licht wird nicht genommen, wie es kommt, sondern wird zusammengesetzt.»

Es hat lange gedauert, bis Mielke, der übrigens als einziger bundesdeutscher Holograph eine eigene Werkstatt hat, die einzurichten heute mindestens 200.000 Mark kostet, es hat lange gedauert, bis er geeignete Räume gefunden hatte. Die, in denen er jetzt arbeitet, sind nicht optimal, denn im Stockwerk über seinem Labor befindet sich ein Büro. Und wo Menschen arbeiten, da fällt bekanntlich auch mal was runter, was sich nicht mit dem Arbeitsprozeß eines Holographen verträgt. Sein Labor muß absolut schwingungsfrei sein. Wo in Maßeinheiten wie Nanometer (Nano ist gleich ein Milliardstel einer Einheit) gedacht wird, hat das Stakkato feierabendlicher Stöckel- oder sonstiger Absätze unter Umständen verheerende Folgen. Ist der Holograph nämlich gerade am belichten, hat die Aufnahme dann nur noch Makulaturwert; das Bild ist ‹verwackelt›. Aus dieser Zwangslage heraus holographiert Mielke, genauer: belichtet er vorwiegend nachts, wenn sich über dem mit hochwertigem optischen Gerät angefüllten tonnenschweren Stahltisch niemand mehr — wie profan! — zum stillen Örtchen hinbewegt und auch kaum mehr die Gefahr besteht, daß draußen ein LKW die liebliche Liebigstraße entlangdonnert.

Für Ei.n, um bei diesem Beispiel zu bleiben, waren fünf Teilhologramme erforderlich als Grundstock. Jedes einzelne bedurfte eines voneinander unabhängigen optischen Aufbaus, und sechs bis sieben Belichtungsdurchläufe waren jeweils notwendig, bis die Arbeit den Qualitätsansprüchen ihres Schöpfers gerecht wurde. Der Herstellung eines dieser scheinbar im Raum schwebenden oder gar in ihn hineinragenden, also dreidimensionalen Lichtgebilde geht, wie bereits angedeutet, ein komplizierter technischer Ablauf voraus. Am Rand dieses schwingungsfreien Stahltisches ist ein Laser montiert. Der von ihm kommende Strahl wird auf einen runden, halbdurchlässigen Spezialspiegel gerichtet, der den Draht in einem bestimmten Verhältnis aufteilt. Der lichtschwächere Teil wird zum sogenannten Referenzstrahl, der die mit einer Spezialemulsion präparierte Photoplatte belichtet. Der andere Teil des Laserstrahls ist auf das Objekt, im Fall unseres Beispiels das Ei, gerichtet, demnach Objektstrahl genannt. Sein reflektierendes Licht transportiert einen Körperabdruck aus Lichtwellen auf die Platte. Doch erst das Zusammentreffen der beiden gleichschwingenden, ‹kohärenten› Strahlen löst die Abbildung aus, läßt ein sogenanntes Interferenzbild entstehen. Um diesen Vorgang zu präzisieren, zitiere ich jetzt aus einem Aufsatz von Bodo Dorra in der schweizerischen Kunstzeitschrift Du; der Fachautor Dorra bemüht sich seit vielen Jahren um die Verbindung von Wissenschaft, Technik und Kunst.

Über die Entstehung des dreidimensionalen Bildes schreibt Dorra: «Beide Strahlenbündel, Objekt- und Referenzstrahl, überlagern sich in Form von Interferenzen oder ‹Wellenüberlagerungen› auf der holographischen Platte. Obwohl beide Strahlen aus derselben Lichtquelle kommen, besitzen sie dennoch nicht die gleichen Wellenmuster. Während der Referenzstrahl direkt und ohne Objektinformationen auf der holographischen Platte eintrifft, ist der Objektstrahl durch Reflexion ‹beladen› mit den Informationen der Oberflächengestalt des Objektes. Schwingen nun Referenz- und Objektstrahl ‹im Takt›, das heißt, treffen Wellenberg auf Wellenberg oder Wellental auf Wellental, so verstärken sie sich und belichten die holographische Platte. Beide Strahlenbündel überlagern sich darauf in Form von Interferenzen oder Wellenüberlagerungen (Difraktionsgitter). Diese Wellenüberlagerungen enthalten die dreidimensionalen Informationen, die auf der Platte in Form von Wellenmustern — einem oftmals bizarren Liniengewirr, das an Moiré-Muster oder auch an vergrößerte Fingerabdrücke erinnert — gespeichert sind. Das aufgenommene Objekt ist, wie der Fachmann sagt, noch ‹eingefroren›. Erst wenn aus einem bestimmten Einfallwinkel die holographische Platte mit Laserlicht oder Weißlicht beleuchtet wird, reproduziert das Interferenzmuster den aufgenommenen und ‹eingefrorenen› Gegenstand dreidimensional in den Raum.» Soweit Bodo Dorra für diejenigen hier Anwesenden, die insbesondere an einer Ein- oder Übersicht bezüglich der Technik interessiert sind. (Doch dazu kann, wie ich es vorhin schon sagte, der Holograph Mielke nachher in der Galerie exaktere Informationen liefern, sozusagen ganze, vollständige Informationen.)

«Das, was das Verhältnis zwischen der Technik der Holographie und der Aufgabe der Kunst heute noch belastet», schreibt Eberhard Roters, Direktor der Berlinischen Galerie, im Katalogaufsatz zur New Yorker Ausstellung von Dieter Jung, einem von der Malerei und der Zeichnung kommenden Künstler, der sich sehr früh schon mit der Holographie zu beschäftigen begann, «das, was das Verhältnis zwischen der Technik der Holographie und der Aufgabe der Kunst heute noch belastet, ist der Umstand, daß Experimentatoren, der Faszination, dieser neuen Bildproduktionstechnik, die noch nicht richtig weiß, wofür sie eigentlich da ist, erliegend, einen Panoptikumseffekt anstreben, der vom Publikum mit angenehmem Gruseln zur Kenntnis genommen wird.» Bei den Worten von Roters wird man unweigerlich erinnert an eine Passage aus dem utopischen Roman von Stanislaw Lem mit dem Titel Transfer, in dessen Zentrum die Beschreibung von Licht-Projektionstechniken steht, derer sich die Menschheit ums Jahr 2000 — 1984 haben wir ja fast erreicht! —, derer sich die Menschheit ums Jahr 2000 bedient. Diese Passage nimmt Klaus Modick, unter anderem, zum Anlaß seiner Betrachtung in der Zeitschrift Merkur zum Thema Polaroides Bedürfnis und Holographie. Darin heißt es: «Die Hauptattraktion dieses überdimensionalen Holographie-Theaters ist eine lichttechnisch simulierte Pirogenfahrt über einen gefahrwimmelnden Urwaldfluß, der im Absturz eines Kataraktes endet.» «Ich wußte ja», so Lem in Transfer, «ich wußte ja, daß das alles — die Neger, diese ganze Reise, der afrikanische Wasserfall — nur staunenswerte Illusion war, aber reglos sitzen zu bleiben, wenn sich der Bootschnabel schon unter den wasserüberfluteten, teerigen Stamm des Riesenbaums schob, ging über meine Kräfte. Blitzartig legte ich mich lang, hob aber gleichzeitig den Arm: der ging durch den Stamm durch, ahne ihn zu berühren, ich spürte — wider Erwarten — gar nichts. Trotzdem blieb die Vorstellung erhalten, wir wären wie durch ein Wunder einer Katastrophe entkommen.» — Nicht anders erging es der eingangs zitierten Kölner Künstlerin Brigitte Burgmer: Aus jenem ersten 3-D-Film, den sie als ersten gesehen habe, sei sie «geflohen, weil ich mich weder vom Gongknüppel erschlagen noch von Pfeilen durchbohren lassen wollte».

»Das», schreibt sie, «war zuviel.» Etwas weniger dramatisch sieht es Ludwig Wilding, Professor für experimentelle Gestaltung an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg: «Eines Tages», meint Wilding, «wird ein Schauspieler aus dem Bildschirm heraustreten, auf uns zukommen und uns die Hand geben.» Und ergänzend fügt er ein Beispiel aus dem akustischen Bereich hinzu: «Musik wäre heute ohne die 3. Dimension (Stereo und Kopfstereophonie) nicht mehr vorstellbar.» Doch lassen wir die Anwendungsmöglichkeiten der Holographie, die Möglichkeit, sich in der Geisterbahn oder auch vor dem heimischen Fernsehgerät scheinbar von Pfeilen durchbohren zu lassen, einmal beiseite, wenden wir uns weniger spektakulären und gruseligen Möglichkeiten der Holographie zu. Dazu möchte ich wieder ein Beispiel, ein Hologramm von Herrn Mielke heranziehen. Er hat anläßlich der etwas monströsen Tut-anch-amun-Ausstellung eben jenen Tut-Kopf holographiert. Ich selbst habe es erlebt, daß dieses Hologramm bei, sagen wir mal, weniger informierten, aber auch bei werbefachlich interessierten Menschen Staunen und Begeisterung ausgelöst hat (wobei natürlich die Identifikationsmöglichkeiten — «Ich war ja auch in dieser Ausstellung!» — auf der einen Seite beziehungsweise fachliche Überlegungen auf der anderen eine große Rolle gespielt haben dürften). Dieser TUT also, er ist exemplarisch für die Anwendungsmöglichkeiten im Museumsbereich. In der Sowjetunion, die in diesem Bereich tatsächlich eine ‹Führungsposition› für sich in Anspruch nehmen darf, rüsten die Museumsfachleute mit Hilfe der Holographie auf. Da in den Katakomben der Musentempel eine Vielzahl an Exponaten schlummert, die aus leicht erklärlichen Gründen das Licht der Öffentlichkeit nicht vertragen — aus restauratorischen Gründen zum Beispiel —, holographiert man sie. So muß kein Bildungshungriger mehr darben, denn auf diese dreidimensionale Weise paßt ein ganzes Museum sozusagen in eine Reisetasche. Sowjetische Fachleute haben errechnet, daß die 110 Exponate der Ausstellung Die Schätze des historischen Staatsmuseums in Kiew in einer Kiste von eineinhalb Kubikmetern Platz hätten — in Form von holographischen Platten. Der Kunstgenuß bleibt dennoch ganz, vollständig. Als besonders nützlich erweist sich dabei die Möglichkeit der Vergrößerung oder aber auch der Verkleinerung. Zum Beispiel bei sehr kleinen Ausstellungsstücken wie Miniaturen oder bei Detailwiedergaben. Ein für die Museen ‹angenehmer› finanzieller Nebeneffekt könnte dabei sein, daß ein Kunst- oder auch Technikmuseum ein teuer erstandenes Stück in holographierter Form hundertfach verkauft, ohne das Original weggeben zu müssen. Nach dem neuesten Stand der Entwicklung läßt sich ein Hologramm beliebig oft vervielfältigen. Ähnlich wie bei der Schallplattenproduktion wird ein sogenanntes Master-Hologramm hergestellt, von dem dann Kopien gezogen werden. (Ein für die Vervielfältigung wesentliches Hilfsmittel ist dabei die 1967 entwickelte sogenannte Dichromat-Gelatine.) Ein weiteres Beispiel der Anwendungsmöglichkeiten der holographischen Abbildung im Museumsbereich wäre jene Venus von Milo, die von den Besuchern der Holographie-Ausstellung im Pariser Holographie-Museum bestaunt wurde, die im August 1980 stattfand. Was also in der Sowjetunion bereits praktiziert wird, könnte auch bei uns bald Anwendung finden. Eine Statue, ein Relief oder beispielsweise die sehr real wirkenden holographierten Ikonen des Sowjetrussen Komar werden an ihrem angestammten Platz also vor Ort dreidimensional abgebildet und können von Museumsbesuchern in Köln, London, München, New York betrachtet werden oder aber als Wanderausstellung durch Sibirien — die Sowjets haben das gemacht — oder den südamerikanischen Busch gehen. Als Vorlagematerial weniger betuchter Künstler für Galerien und Museen ist das Hologramm allerdings weniger geeignet, denn dazu ist es doch ein noch etwas zu kostspieliges Medium; hierfür dürfte nach wie vor die Photographie am ehesten geeignet sein.

Erwähnen möchte ich noch eine weitere Anwendungsmöglichkeit im musealen Bereich, genauer: die Holographie als Hilfemittel der Restauratoren. Mit Hilfe dieser Technik ist es möglich, zum Beispiel feinste Beschädigungen an wertvollen Kunstwerken zu entdecken, die das Auge nicht mehr erkennen kann. Und unterschlagen werden soll auch nicht, daß die Holographie zusehends mehr im militärischen Bereich gebraucht, oder sollte man besser sagen: mißbraucht wird; das Hologramm unterstützt den Piloten eines Düsenjägers, seine Geschosse dem Feind noch ‹näher› zu bringen, als das je zuvor möglich war. Auch die Vermessungstechnik bedient sich der Holographie; aus der Medizin ist sie nicht mehr wegzudenken, weil sie exaktere Diagnosen erlaubt; und in der elektronischen Datenverarbeitung ist man dabei, auf die Holographie umzustellen, und zwar deshalb, weil man mit ihrer Hilfe sozusagen um die Ecke gucken kann: weist ein Film, auf dem Daten gespeichert sind, irgendwelche Beschädigungen auf wie etwa Kratzer — was auf einem normalen Film die Information eliminieren würde —, so ist das jetzt nicht mehr weiter tragisch, denn die Information steht, wie gesagt, hinter den Dingen, hinter der Beschädigung. Die Entwicklung der Holographie haben — logischerweise — die großen Konzerne vorangetrieben. Quasi ein Abfallprodukt holographischer Forschungsarbeit ist das im Labor eines US-amerikanischen Flugzeugherstellers entstandene Pulslaserhologramm: Es suggeriert dem Betrachter, in einer Taucherglocke zu sitzen. Bei einer Sichttiefe von sechs Metern ist ein Schiffswrack zu erkennen, aus dem ein Froschmann herausschwimmt. Im Vordergrund begutachten zwei Taucher einen tönernen Krug. Am? im? linken hinteren Rand dieses Raumbildes beleuchtet eine Frau die Szenerie mit einer Handlampe; diese Lichtquelle ist identisch mit der des gesamten Hologramms. Diese zweieinhalb Millionen Dollar teure phantastische ‹Spielerei›, hergestellt mit lebenden Modellen — das ist möglich durch die Pulslasertechnik —, wird so um einen zusätzlichen Effekt bereichert.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal die Kölner Künstlerin Brigitte Burgmer zitieren, und zwar aus einem Beitrag, den sie für die Fotozeitung zur und um die Photokina 1980 verfaßte. Die leicht pessimistische und zugleich ironische Vision von Brigitte Burgmer lautet: «Ich stelle mir kleine 1- oder 2-Zimmerwohnungen vor, erweitert durch holographische Zimmer an den Wänden (statt Fototapeten): ein kleines Rokoko-Zimmer, oder darf's der Park von Versailles sein mit Wasserspielen, ein Stück Urwald, die Antarktis oder ein Blick in eine Galaxis. — Laden wir die Gespenster zu uns ein. Wir können sie nun zu uns an den Tisch setzen.» Davon einmal abgesehen, daß die Holographie Brigitte Burgmer heute eher, wie sie in ihren Überlegungen zur holographischen ‹es extensa ... schreibt, heute eher «Spaß, sinnlichen Spaß» macht, «weil sie das Spiel mit den Erkenntniskräften ermöglicht ...». Davon also einmal abgesehen: Mit den oben zitierten Reflexionen täte sich doch eine Möglichkeit für die Erbauer von Häusern mit hunderten Wohnklos, vielleicht nach dem Bauherrnmodell, an. Die Studenten in München oder in anderen von Wohnungsnot geplagten Universitätsstädten hätten mit Hilfe der holographischen Tapete dann vielleicht nicht mehr das Gefühl, ihr 22 Quadratmeter großes Abortement zu 350 Mark im Monat überbezahlt zu haben.

Zurück zu den anderen Anwendungen der Holographie, hin zu ihrer Entstehung. Verschiedene Firmen der Elektronikindustrie haben eine Zeitlang in Sachen 3-D investiert. So bieten beispielsweise Hologramme von elektronischen Geräten nicht nur außerordentliche Einblicke in das Innenleben von Verstärkern und Transformatoren, auch des Designers Horizont wird durch diese Methode, durch diese Technik sozusagen ‹verrückt›; im erweiterten Sicht- respektive Lichtfeld der dritten Dimension wird manch einer von ihnen die Linienführung ändern. Design ist — sollte sein — ja nicht nur Formsache.

Hauptanteilseigner der Holographie ist jedoch nach wie vor die Elektrophysik. Einem ihrer Denker ist auch die Geburt dieser ‹revolutionären› Abbildungsmethode zu verdanken. Dennis Gabor heißt er, ein 1979 gestorbener englischer Physik-Professor ungarischer Herkunft. Der «Vater der Holographie», wie er genannt wird, erhielt für sein ‹Kind› 1971 die internationale Höchstprämie, den Nobel-Preis, den Nobel-Preis für Physik der schwedischen Dynamit-Dynastie.

Gabor sann während der Kriegs- und Nachkriegszeit über Möglichkeiten nach, Bilder unter einem Elektronenmikroskop deutlicher zu machen. 1947 war ihm dann ein Licht aufgegangen, daß es dazu kohärentes, also zusammenhängendes, gleichschwingendes braucht, dessen Strahlen in Wellenlänge, Schwingungsphase- und Ebene übereinstimmen. Zwölf Jahre sollte es allerdings noch dauern, bis jemand auf diese in der Natur nicht vorkommende Lichtquelle gestoßen war. Gordon Gould war es, der 1962 den ersten Rubin-Laser realisiert hatte. (Um kurz ein Beispiel bezüglich des elektrophysikalischen Ansinnen von Dennis Gabor zu erwähnen: Die Sowjets sind längst in der Lage, mit einem Elektronenmikroskop ein dreidimensionales Bild von einem — sich ständig bewegenden! — Neuron, einer Nervenzelle, herzustellen, das einen Durchmesser von weniger als 0,001 Millimeter hat.)

Für die Holographie entscheidend ist die Möglichkeit, den Laserstrahl teilen zu können. Den diesbezüglich maßgeblichen Impuls gab die Zweistrahlentechnik, zuende gedacht 1960 von Emmett Leith. Den Kulminationspunkt am Holographie-Gestirn schufen dann gemeinsam ein sowjetischer und ein in die USA eingebürgerter bulgarischer Forscher. Yuri N. Denisyuk machte das Hologramm 1962 weißlichtsichtbar (als natürliches Licht), und T. A. Shankoff lieferte im selben Jahr die — vorhin erwähnte — dichromatisierte Gelatine für die Plattenbeschichtung.

Dieser kurze Abriß macht deutlich, daß die künstlerische Holographie ohne rein wissenschaftliche Intention nicht existierte. Auch diejenigen, die schon in den sechziger Jahren begannen, in diesem Medium eine Startrampe für kreative Höhenflüge zu sehen, rekrutierten sich in erster Linie aus Forscherkreisen. Der Amerikaner Stephen A. Beton entwickelte parallel zur rundum aufkeimenden künstlerischen Aktivität gegen Ende des sechsten Jahrzehnts das Regenbogenhologramm, sein Landsmann Lloyd Cross kurze Zeit danach das synthetische, das Multiplexhologramm. Einer der ersten nicht wissenschaftlich ‹vorbelasteten› Künstler, die in einer Galerie, konkret: in der Leo Castelli-Gallery in New York, ausstellten, war Bruce Nauman; das waren allerdings noch recht unbedarfte Anfänge, diese holographierten Grimassen. Die Wissenschaft macht weiter. Aber im Bereich der Display-Holographie sind die Versuche in den Laboratorien der großen Konzerne merklich zurückgegangen. So läßt sich heute mit Flug und Recht behaupten, daß hier die Kunst und, bis zu einem gewissen Grad, die Werbung ein neues Medium am Leben erhält. Diejenigen, die dieses Medium weiterhin ‹beatmen›, das einige Fachleute für die größten optische Sensation seit den prähistorischen Höhlenmalereien halten, nennt Werner Rhode «eine friedliche Internationale». Dreißig, vierzig sind es weltweit, die holographisch-künstlerisch arbeiten. Manch ein Künstler arbeitet sporadisch mit diesem Medium, darunter Salvador Dalí mit seiner holographischen Collage Holas! Holas! Velasquez! Gabor! oder den 360-Grad-Multiplexhologrammen Dalí malt Gala oder Der Schäfer und die Sirene. Holographie-Schulen gibt es unter anderem in New York und in Kalifornien, Ausstellungen gab es 1972 in New York, dann dort wieder 1975, und von 1976 bis 1979 in Stockholm, Paris, London, Straßburg und Tokio. Hier bei uns fand eine Ausstellung, wie bereits erwähnt, im Februar bis März 1979 im Neuen Berliner Kunstverein statt, die dem «Vater der Holographie», Dennis Gabor, gewidmet war. Längst gibt es auch reine Holographie-Museen, in New York etwa oder in Paris. Museum nennt sich auch eine allerdings eher als Galerie zu bezeichnende Präsentationsstätte für Holographie in Pulheim bei Köln, und seit Dezember des vergangenen Jahres haben wir in München eine Galerie, die ausschließlich Hologramme ausstellt und verkauft. Die können wir ja nachher besichtigen.

Einer aus dem Kreis dieser «friedlichen Internationale», aus dem Kreis der Lichtbildner, der Amerikaner Rick Silberman, brachte dieses Faszinosum auf folgende Formel: Die Holographie sei eine «unaufhörliche, glaubhafte Illusion», sie sei «simultane Realität». Eine der Arbeiten Silbermans, die durchweg von seiner früheren Tätigkeit als Industriedesigner geprägt sind, belegt seine Aussage eindrücklich: das Hologramm mit dem Titel Meeting. Auf einem kleinen Wandbord steht ein Weinglas vor milchig-grünem Licht. Nach genauerer Begutachtung ist in etwa der Mitte des Glases eine Fraktur zu erkennen. Hier kopulieren sozusagen Realität und Illusion: Am Stiel läßt sich das Glas greifen, ist Wirklichkeit, oberhalb der Bruchstelle ist es Schein — eine aus Licht gegossene Form. Nimmt man diesen Glastorso jedoch von diesem Wandbord, wird das gesamte Hologramm sichtbar. Dennoch bleibt der Eindruck: Schein oder (Nicht-)Sein? das ist hier die Frage!

Eine exemplarische Zwischenbilanz der Holographie war und ist, medienspezifisch umgesetzt, und auch Hinweis auf noch zu erschließendes Terrain, war und ist das Hologramm mit dem Titel Hand Held von Sam Moree. Seine Interpretation des Mediums ist tautologisch: Im Hologramm ist eine Hand zu sehen, die ein Hologramm hält, in dem ein Hologramm zu sehen ist, das von einer Hand gehalten wird, die ein Hologramm hält — und so weiter. Hat nicht Gertrude Stein gesagt: Ein Hologramm ist ein Hologramm ist ein Hologramm!? Und: Unendlich? Nein. Dazu sind die technischen Möglichkeiten der Holographie noch zu begrenzt — trotz erheblicher Fortschritte der letzten Zeit; Morees Arbeit deutet, vorerst, noch an. Läßt man aber seiner Phantasie freien Lauf, geht in diesem Sujet die These auf, nach der jede Zelle alles Leben in sich birgt. Quasi Mikrokosmos Hologramm: Fällt eines zu Boden und zerbirst in tausend oder mehr Teile, bleibt in jedem der Bruchstücke die ganze, die vollständige Information enthalten; also entstünden aus der einstigen Lichtplastik von, sagen wir mal, 15 mal 15 Zentimetern tausend oder mehr Hologramme. Das zum Beispiel macht sich, wie vorhin als Beispiel erwähnt, die elektronische Datenverarbeitung zunutze. Und längst kennen wir ja die These aus der Hirnforschung, daß das menschliche Gehirn dreidimensional funktioniert. Mal ein bißchen arg populär gedacht hieße das: Den wegen des gestrigen lang andauernden und ausschweifenden Festes abgestorbenen Zellen ist nicht weiter nachzutrauern. — Aber ich will mich jetzt hier nicht mit der Medizin anlegen ... Ich sage nur: Karl Pribram, John Eccla beziehungsweise Karl Popper.

Nun haben viele Menschen mit diesem Medium (soweit es ihnen überhaupt ein Begriff ist: ich denke da zum Beispiel an den bereits erwähnten Kulturredakteur der Deutschen Welle), viele haben mit der Holographie Probleme, weil sie es schlichtweg für nichts anderes als Technik, allenfalls noch für eine Technik halten und verhalten sich deshalb diesem Medium im Zusammenhang mit der Kunst mehr als reserviert. Das haben mir gegenüber viele Menschen geäußert, und eine Kritikerin der Süddeutschen Zeitung hat mir hat in einem Brief sogar schriftlich gegeben. Nur: Es stellt sich die Frage, wie vorhin schon einmal, was ist die Lithographie, die Photographie, der Siebdruck, was ist Video denn anderes, zunächst einmal, anderes als eine bestimmte Technik?! Wie war das denn mit der Photographie?! Als sie erfunden worden war, erklärte der französische Maler Paul Delaroche die Malerei für tot. Die Malerei ist nicht tot, die Photographie ist heute aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken, sie hat die Malerei nur in verschiedenen Bereichen abgelöst, beispielsweise in der Schlachtenmalerei; ein Schlachtenmaler wie Albrecht Adam hätte heute nichts mehr zu tun — oder müßte sich eine Kamera kaufen. So wird mit ziemlicher Sicherheit die Holographie, das dreidimensionale Medium, die zweidimensionale Photographie in bestimmten Bereichen ablösen.

Die Holographie ist also eine Technik, allerdings eine, mit der sich der Bauer (oder wer auch immer) schwer tut, weil er nicht frißt, was er nicht kennt. Lassen Sie mich zur Bekräftigung meiner Worte noch einmal aus dem Aufsatz von Eberhard Roters zitieren. Roters schreibt: «Neulich behauptete ein Künstler mir gegenüber, Holographie sei doch eigentlich keine Kunst, sondern eine technische Spielerei, bei der der Reiz der Neuheit überwiege. Ich», also Roters, «ich antwortete ihm, das habe vor 150 Jahren für die Lithographie genauso gegolten.» Und weiter führte Roters aus: «Marshal McLuhans seinerzeit gefeierte These The Medium is the Message hat sich inzwischen längst als medienmaterialistischer Irrtum erwiesen. Nicht das Medium ist die Botschaft («Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit», so Ludwig Wittgenstein; Anmerkung d. Verf.). Das Medium aber ist — so trivial das klingt, sei es doch ausgesprochen — nicht mehr und nicht weniger als der Träger des Bildes. Allerdings wechselt das Bild im Laufe der Geschichte seine Träger, und jede Geschichtsepoche sucht sich diejenigen Bildträger aus, die für die Spiegelung ihres eigenen Bewußtseins die geeigneten sind.» — Soweit Eberhard Roters dazu.

Der Maler, Zeichner und Lichtbildbauer, also Holograph Dieter Jung hat Roters — und nicht nur ihn — darauf aufmerksam gemacht, daß Francesco Petrarca im 14. Jahrhundert zum ersten Mal einen Berggipfel nicht lediglich aus praktischen Gründen erstiegen hat, sondern um die Gewalt des dreidimensionalen Umraums rein zu erleben. Dem steht eine andere Bergbesteigung gegenüber, die dreihundert Jahre später stattfand. Im Jahr 1647 bestieg Blaise Pascal gemeinsam mit seinem Schwager einen Berg südlich von Clermont, um auf dem Gipfel Luftdruck-Versuche durchzuführen. Seine Forschungsergebnisse faßte er in dem Satz zusammen, man wolle doch nicht behaupten, daß die Natur die Leere auf dem Berg mehr verabscheue als in der Ebene. Petrarca bestieg einen Berg und entdeckte dort die Gewalt des Universums, Pascal stieg auf einen Berg und entdeckte dort die Gewalt der Leere. Und Roters kommentiert das so: Die spezifische Wirkung des holographischen Bildes beruhe darauf, daß es deutlich greifbar und von wechselnden Standpunkten aus körperlich betrachtbar vor unseren Augen stehe und daß es sich dennoch zugleich als ein stofflich ungreifbares Phänomen zu erkennen gebe, eine Lichterscheinung, geboren aus den Schwingungsstrukturen des ‹leeren› Raums, die sich in der Provokation des Lichts manifestiert. Das holographische Bild antwortet damit auf die Schwingungsstruktur unserer Bewußtseinstätigkeit. Soweit ein kleiner Ausflug in die Auseinandersetzung anderer mit der Holographie und deren Argumentation.

Gehen wir doch einfach mal davon aus — und das ist jetzt an die Kritiker gegen die Holographie gerichtet —, gehen wir davon aus, daß der Holograph, der Kunst macht, sich einfach nur seiner speziellen Technik bedient, um daraus eine Lichtplastik entstehen zu lassen. Es ist demnach lediglich die Frage der Umsetzung, hier die von etwas Materiellem in etwas Immaterielles, wie Bodo Dorra argumentiert. In der Kunstzeitschrift Du schreibt er: «Die Holographie, die als eine Symbiose aus Wissenschaft, Technik und Kunst bezeichnet werden kann, hat auf jeden Fall das erreicht, was seit Jahrhunderten in der bildenden Kunst eine Utopie war: die Fixierung des Illusionären, die Realisation von Traumbildern, die wie eine Fata Morgana in der Luft zu schweben scheinen. Damit wurden die Grenzen zwischen Realität und Imagination verwischt und ein Moment der Metamorphose erreicht, wenn etwa eine Linie, ein Gegenstand oder ein Bild im Begriff war, sich in etwas anderes zu verwandeln. Weiterhin hat sie die Reizbarkeit der geistigen Fähigkeiten erreicht und damit zu einer Erweiterung des kreativen Rezeptionsvermögens beigetragen.»

So, jetzt habe ich mit Hilfe anderer meine eigenen An- und Einsichten genügend — hoffe ich — ganz deutlich gemacht und möchte zum Abschluß noch ein anderes, eigenes Bild beschreiben, das im Zusammenhang mit der Holographie in meinem Kopf festgemacht hat. Eines der Hologramme von Harald Mike Mielke hat den Titel Slartibartfass. Das ist eine Figur aus der hintergründig, subtil-komischen Science-fiction-Hörspiel-Serie des sehr britischen Autors Douglas Adams. Der Küsten-Architekt Slartibartfass vom erdähnlichen Planeten Magrathea, der beispielsweise für die norwegische Küste preisgekrönt wurde, entgegnet auf die rhetorische Frage eines Erdenbewohners, «Ich dachte, ihr wärt alle tot?»: «Tot? Nein, wir haben nur geschlafen.»

Ich bedanke mich, daß Sie nicht alle geschlafen haben.


Abschrift des Vortrages: ‹Künstlerische Holographie›,
gehalten an der Akademie der Bildende Künste, München
am 17. Januar 1983, 18.00 Uhr
Dieser Vortrag wurde, in abweichender Form, zwischen 1983 und 1985, auch an anderen Institutionen gehalten.
Zu diesem Thema gab es durch den Autor verschiedene Veröffentlichungen in mehreren Tages- und Wochenzeitungen sowie Hörfunksendungen innerhalb der ARD und der SRG.

 
Do, 24.09.2009 |  link | (1728) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Funktion









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