Plastik im Außenraum

Bis jetzt
(Herrenhäuser Gärten 1990)

Häufig ward Hannover nicht eben genannt, wurde in den letzten Jahren nach den bundesdeutschen Metropolen zeitgenössischer Kunst gefragt. Doch nun hat es den Anschein, als sollte sich das ändern. Das Sprengel-Museum bekommt einen Neubau, mit dem die Ausstellungsfläche verdoppelt wird; was den vom Wiener Museum Moderner Kunst/Palais Liechtenstein kommenden neuen Direktor Dieter Ronte sicherlich zu interessanten Aktivitäten animieren wird. Der Kunstverein erwacht mit seinem jüngst ins Amt gekommenen Leiter Eckhard Schneider offensichtlich aus seinem Dornröschenschlaf: Mit der gegenwärtig stattfindenden Gerhard-Merz-Ausstellung scheint eine diskursivere Richtung angezeigt. Dies alles und die Tatsache, daß Hannover im Jahr 2000 Veranstalterin der Weltausstellung sein wird, dürfte so manchen Leine-Anrainer wie etwa die Galeristin Marika Marghescu aufs Experimentierfeld führen. Schlagzeilen wie «Kunst im Aufwind» in der Wochenzeitung Die Zeit belegen, daß in der niedersächsischen Landeshauptstadt nicht nur politisch ein frischer, erneuernder Geist weht.

Doch primär galt besagte Schlagzeile einer Ausstellung, die zumindest zwischenzeitlich Hannover tatsächlich zur Metropole macht. Bis jetzt heißt das Objekt der erhöhten, auch internationalen Aufmerksamkeit, einer Bestandsaufnahme mit dem Untertitel Plastik im Außenraum der Bundesrepublik, einer Retrospektive also jener künstlerischen Disziplin, die wie keine andere hierzulande diskutiert (mehr dazu in Kunst im Außenraum) und allzu oft mit handgreiflichen ‹Argumenten› bedacht wurde — und wird, wie die Ausschreitungen gegen die hannoverschen Exponate einmal mehr belegen.

Bereits im Planungsvorfeld zur Ausstellung schlugen, mehr oder minder von Sachverstand bewegt, die Wogen hoch. Hier der enttäuschte Künstler, die resignierte Künstlerin, die erfahren hatten, nicht mit von der Partie zu sein. Und dort die Verfechter jener umstrittenen These, eine für einen bestimmten Standort geschaffene Plastik in einem anderen Umfeld zu zeigen, heiße, sie ihrem Kontext, ihrer sozialen Funktion zu berauben.

Erstere haben dabei möglicherweise übersehen, daß die Ausstellungsreihe in den nächsten Jahren fortgesetzt werden wird unter Berücksichtigung auch jüngster Entwicklungen der Plastik im öffentlichen Raum.

Und unter den Vorab-Kritikern des im Wortsinn groß angelegten Rückblicks auf 40 Jahre Außenplastik befinden sich, überraschend oder nicht, sehr viele, die eine ursprünglich für eine Kirche geschaffene Skulptur im Museum bewundern.

Einige der 35 im Georgengarten des hannoverschen Stadtteils Herrenhausen aufgestellten Plastiken reklamieren nachgerade ihre Eigenständigkeit, werfen nicht, wie vielfach geäußert, die Frage nach dem Ursprungsort auf. Ernst Hermanns Stahlarbeit Ohne Titel aus dem Jahr 1985 etwa oder Reiner Ruthenbecks Sieben schwarze Schranken von 1977 behaupten sich in ihrem solitären Charakter im Grün des Georgengartens, wie sie sich zuvor in urbaner Umgebung behauptet haben. Hans Uhlmanns Mahnmal zum Gedächtnis des Widerstandes im Dritten Reich aus dem Jahr 1950 verifiziert geradezu die Äußerung von Dieter Honisch, es sei oft gar nicht nötig, «daß Kunstwerke für bestimmte Situationen geschaffen werden». Wichtig seien «die Setzung, der Ort und die neue Beziehung, die zwischen Plastik, Gebäude und Umraum entsteht, die aus Trivialität etwas Signifikantes, geistig Gefaßtes und Urbanes machen». In diesem Zusammenhang geriert sich Ansgar Nierhoffs 1971 entstandene Schranke geradezu aktualisierend in der Frage nach der Dialogfähigkeit zwischen ‹heroisch› thronender Kunst und ‹trivial› scheinender Natur. Und es ist nicht ohne Faszination, zu sehen, wie gerade in einer neuen Umgebung Qualität sich selbst unter Beweis stellt. Als Beispiel dafür mag das Teilstück der documenta-Arbeit gelten, die Paul Isenrath 1977 für die Kasseler Schau gemacht hat.

Das ist der eine Aspekt dieser Ausstellung: quasi als Flaneur im Georgengarten aus anderen Perspektiven alte Arbeiten neu zu sehen, etwa in dem Sinne, wie Henry Moore sich zu den Skulpturen von Giovanni Pisano geäußert hat: «Nachdem seine Skulpturen vom Baptisterium in Pisa heruntergeholt und ins Museum gebracht worden waren, konnte man sie von Mann zu Mann sehen. So sollte Plastik gesehen werden und nicht als weit entfernte Gegenstände.» Von besonderer Bedeutung ist jedoch der Ansatz, der den Rückblick auf die Entwicklung einer von Ausstellungsorganisator Lothar Romain expressis verbis benannten «bundesrepublikanischen Plastik» zuläßt. Diese Bezeichnung beinhaltet die Auslassung jedweder figurativer Äußerung, denn, so Romain im (der Ausstellung qualitativ adäquaten) Katalog: «Das Thema Figur im traditionellen Sinne bleibt hier vor allem deshalb ausgespart, weil die Entwicklungen von Kunst im Außenraum [...] in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts immer weiter davon fortführen. Der Sonderweg in der DDR, der dieses Thema weiterhin künstlerisch und zugleich ideologisch einzukreisen versuchte, hat doch nicht weiter geführt, es sei denn zu der Erkenntnis, daß der Boden zu fest getreten ist, um noch fruchtbar zu sein. Deshalb sprechen wir hier auch nicht von deutscher, sondern von bundesrepublikanischer Plastik.» Romain zitiert in seinem Konzeptionsansatz «die Frage nach einer neuen Identität, nach neuen Ansichten vom Menschen» in der Zeit nach dem Ende des Nationalsozialismus, «als die pathetischen Versionen des athletischen Ariers von den Bomben endgültig zertrümmert waren». Es war aber auch die Suche der Künstler, wieder international Anschloß zu finden, die Lücke ausfüllen zu dürfen, die der nationalsozialistische Kunst-‹Verstand› hinterlassen hatte. Und manch ein Künstler setzte dort (wieder) an, wo die Nationalsozialisten die Kunst ins Reich des Bösen verwiesen hatten: an der Utopie des Konkreten.

Deshalb wohl setzte Romain die Uhlmannsche Arbeit von 1950 als gleichsam doppeltes Frontispiz ein, indem er die Plastik sowohl an den Eingang des Georgengartens stellen als auch auf den Katalogumschlag drucken ließ: Uhlmann war es, der, so Romain, «wie kein anderer bei uns die Änderung der formalen Mittel vorangetrieben hat».

Doch die hannoversche Bestandsaufnahme dokumentiert nicht nur den rein konstruktivistischen, den puren mathematisch-geometrischen Aspekt in der Entwicklung der Plastik seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Auch die organoiden Dialekte kommen zum Tragen, etwa in Otto Herbert Hajeks Blätterwald aus dem Jahr 1960 oder mit der Plastik Phönix II, die Bernhard Heiliger 1966 schuf. Und die kunsthistorische Bedeutsamkeit dieser von der Stiftung Niedersachsen, dem Sprengel-Museum Hannover und der Unternehmer-Initiative Niedersachsen getragenen Veranstaltung wird darin deutlich, als sie sich nicht auf den reinen Rückblick auf die Nachkriegszeit konzentriert, sondern auch die Wandlungen aufzeigt. Es bedürfte einer weiten, langen und anstrengenden Reise, zu sehen, wie sich bei einzelnen Künstlern Materialwahl, Arbeits- und Vorgehensweise geändert haben, so beispielsweise bei dem (bereits erwähnten) Ansgar Nierhoff oder bei Heinz Mack; oder aber, bei welchem Künstler die Konstanz in Material- und Formwahl überwiegt. (Dabei ist für denjenigen, der Handlungen, Wandlungen und Konstanten der Künstler nicht oder noch nicht kennt, der Katalog ein wertvolles Kompendium, ist ihm doch eine Dokumentation angefügt, die die Entwicklungen der einzelnen Plastiker photographisch festhält und sie persönlich zu Wort kommen läßt.)

Es fehlen in dieser «Materialsammlung», wie Lothar Romain diese Bilanz von vier Jahrzehnten Plastik im Außenraum der Bundesrepublik nennt, auch nicht solche jüngeren, den Plastikbegriff umformulierenden Künstler wie Bogomir Ecker, Ludger Gerdes, Norbert Radermacher oder Thomas Virnich, wobei Heinrich Brummack am ehesten für die schrilleren Ausformulierungen der achtziger Jahre steht. Norbert Kricke ruft sich in Erinnerung, Klaus Rinke belegt seine immer überraschende Vielfältigkeit, Inge Mahn reflektiert die poetische Variante der Plastik: 35 Künstler, 35 Arbeiten, 35 «Konfrontationen, Rückblicke und Ausblicke», wie Lothar Romain im Katalogaufsatz schreibt.

Einen weiten Schritt nach vorn tat Romain, indem er einen Künstler in diese Ausstellung integrierte, dem «noch kein anderer Ort zugewiesen werden kann». Es handelt sich um Lun Tuchnowski, dessen Hommage à R. J. (gemeint ist Robert Jacobsen, der große dänische Bildhauer, mit dem Tuchnowski lange zusammengearbeitet hat) Bis jetzt in zweifacher Hinsicht belegt: hier die Ehrung eines Plastikers der internationalen Tradition und dort der Blick in die Zukunft.

Der wird im nächsten Jahr in Hannover ausnahmslos von den jüngeren Künstlern getan werden. An verschiedenen Standorten, diesmal im innerstädtischen Bereich, sollen zehn Plastiker ihr Verständnis einer Kunst im öffentlichen Raum der neunziger Jahre aufzeigen. Dabei soll es weniger um die Plastik im klassischen Sinn gehen, sondern wider den Stachel der gesellschaftlichen Bedeutungsfunktionen gelöckt, soll nach- und hinterfragt werden, inwieweit die Plastik eine soziale Funktion erfüllen kann. Also nicht Von hier aus, auch nicht Bis jetzt, sondern Wohin?


Weltkunst, 60. Jg., Nr. 17, 1. September 1990, S. 2602 f.
 
Di, 20.10.2009 |  link | (2597) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Bildende Kunst






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